177 Kilo Mensch.
Das war der höchste Wert, den ich je auf einer Waage gesehen habe. Nein, das passiert nicht von heute auf morgen. Nein, niemand lebt freiwillig so. Esssucht ist eine Suchtkrankheit wie jede andere, und ich werde keine Zeit mehr darauf verschwenden, mich dafür zu entschuldigen oder zu rechtfertigen.
Ich wollte schon lange nicht mehr so weiterleben, und eine Zeit lang war ich auch unsicher, ob ich überhaupt noch leben wollte. Bloß, was ist Plan B? Mit einer Diät ein paar Kilo abnehmen geht immer, aber angesichts eines Fettberges von 100 Kilo oder mehr schmilzt jede Hoffnung wie ein Schneeball in der Sonne, und zwar schon, bevor ich nur einen einzigen Tag gefastet habe. Und dann ist da noch die Sucht, die nicht einfach so weg geht, nur weil ich mir das vornehme.
Im Prinzip gibt es nur eine einzige Möglichkeit, einer Suchtkrankheit dauerhaft zu entkommen: Kalter Entzug. Die Patientin oder der Patient vermeidet möglichst jede Konfrontation mit dem Suchtmittel und nimmt es schon gar nicht zu sich. Bei einer Esssucht ist das leider keine Option. Ein Mensch muss essen, jeden Tag, mehrmals, da führt kein Weg daran vorbei.
Eigentlich bewege ich mich ja gerne. Wann immer es das Wetter zulässt, ist für mich mein Fahrrad das Verkehrsmittel der Wahl, und ich gehe auch ganz gerne zu Fuß, wenn das nicht Schmerzen in meinen Gelenken zur Qual werden lassen. Allerdings nahm meine Reichweite mit steigendem Gewicht immer mehr ab, zuletzt ging mir schon nach wenigen hundert Metern die Luft aus. Ans Stiegensteigen war auch nicht mehr zu denken.
Medikamente? Natürlich gibt es Schlankheitspillen auf dem Markt. Jede Menge sogar. Fettblocker, Ballaststoffe, die sich im Magen ausdehnen, viele andere Angebote. Nicht wenige davon habe ich ausprobiert. Genützt hat keine etwas, schon gar nicht längerfristig.
2011 war ich ein paar Wochen auf Reha. Die gibt es nicht nur nach Skiunfällen und Herzinfarkten, sondern auch für Adipositas. Drei Wochen Sonderkrankenanstalt Alland. Ich hätte mir davon viel versprochen, vor allem wollte ich Möglichkeiten kennen lernen, wie ich mich trotz meiner starken körperlichen Einschränkungen bewegen kann. Der Aufenthalt war ernüchternd. Wir wurden auf eine relativ strenge Diät gesetzt, erst 1100 und später 1300 Kalorien, und das Bewegungsangebot bestand im Wesentlichen aus Wandern und Ergometertraining. Die 10 Kilo, die ich in den drei Wochen abgenommen habe, hatte ich in zwei Jahren wieder zurück, mit Verstärkung.
In Alland wurde mir auch schon klipp und klar gesagt, dass ich nicht darauf hoffen soll, jemals auf konventionellem Weg noch einen gesundheitsverträglichen Körperumfang zu erreichen. Ich solle doch operieren gehen. Ich war dann auch im AKH, um mich zu informieren. Ich bekam eine lange Liste von Aufgaben, die ich abzuarbeiten hätte, Untersuchungen, Gutachten usw. Ich wusste eigentlich sofort, dass ich das nicht schaffen würde, ließ mich aber doch auf den Prozess ein. Als ich aber bemerkte, dass meine Aufganbenliste statt kürzer immer länger wurde, weil ich überall noch mehr Untersuchungen und Therapien aufgetragen bekam, die ich vor einer Operation doch absolvieren solle, gab ich irgendwann frustriert und verzweifelt auf.
Es brauchte einige Jahre Arbeit mit einer wunderbaren Therapeutin, um mich so weit aufzubauen, dass ich einen weiteren Anlauf wagen wollte. Letzten Oktober war es so weit. Seit damals war ich wieder am Befunde Sammeln, Ambulanzen und Privatordinationen Aufsuchen, Optionen Abklären, und auch dieses Mal wurde die Liste erst länger, dann aber doch irgendwann kürzer, und vor ein paar Wochen hatte ich alles beisammen, was ich brauche. Zurück in der Adipositasambulanz im AKH fiel die Entscheidung, dass eine Operation wirklich der einzige Ausweg für mich ist.
Am 4. März ist also der große Tag, nach dem mein Leben nie wieder so sein wird wie zuvor. Wenn es mir gelingt, werde ich versuchen, euch auf die Reise mitzunehmen und hier ein wenig zu erzählen, wie es mir so damit geht.