Wir werden schon nicht aussterben

Die Save in Ljubljana am 4. August 2023 Quelle: Ljuba Brank https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sava_v_Tacnu_4._avgusta_ob_16h.jpg
Die Save in Ljubljana am 4. August 2023 Quelle: Ljuba Brank https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sava_v_Tacnu_4._avgusta_ob_16h.jpg

Immer häufiger höre ich im Zusammenhang mit der Klimakrise Warnungen vor dem Niedergang der menschlichen Zivilisation. Ich teile diese Bedenken, und ich halte sie, anders als Karl Nehammer, keineswegs für Untergangsphantasien. Aber was genau meine ich mit Niedergang?

Es begann anscheinend harmlos. Eine unterspülte Straße dort, ein paar Einfamilienhäuser da. Selber schuld, wer in der roten Zone baut, und einen Beigeschmack von Korruption hat es sowieso, dass das überhaupt erlaubt wurde. Klar, die Gründe waren billig, und den Traum vom Eigenheim träumen wir, wenn man Claudia Plakolm glauben kann, schließlich alle, aber wer sich das nicht leisten kann, sitzt dann eben im Wasser. Dumm gelaufen, aber für die Gesellschaft nicht weiter besorgniserregend. Schließlich gab es immer schon Hochwässer, und was soll das schon heißen,„Jahrhunderthochwasser“? So dachten in meinem Umfeld 2002 viele angesichts der Bilder aus dem Kamptal, aus Tschechien und Ostdeutschland.

Leider sehen wir, dass es nicht dabei bleibt. Ein Jahrhunderthochwasser heißt so, weil es statistisch im sehr langjährigen Schnitt etwa alle hundert Jahre vorkommt.  Das sagt natürlich nichts über ein gegebenes Jahr oder Jahrzehnt. Wir stellen aber fest, dass derartige Hochwässer in Mitteleuropa inzwischen etwa alle zehn Jahre auftreten, und das ist doch eine signifikante Häufung. Für Fluten an der Küste gilt übrigens ähnliches, noch verstärkt durch den generellen Anstieg des Meeresspiegels.

Nunja, seis drum, dann müssen wir eben danach wieder aufbauen, was zerstört wurde. Ein paar Hochwasserverbauungen mehr werden das Problem schon lösen.

Vorläufig, ja. Mit steigender Erderhitzung müssen wir allerdings damit rechnen, dass derartige Ereignisse häufiger werden, und es geht dabei nicht nur um Hochwasser. Dasselbe gilt für extreme Gewitter mit Hagel, der immer großflächiger Ernten vernichtet oder umgekehrt für Dürreperioden. 2023 ging in Teilen Frankreichs das Wasser aus, in ganzen Landstrichen waren die Kommunen auf Wasser aus Tanklastern angewiesen. In Spanien fielen die Ernten so gering aus, dass deutlich weniger Obst und Gemüse exportiert werden konnte. Wir haben das in Mitteleuropa noch kaum bemerkt, aber das lag daran, dass mit Großbritannien ein großes Abnehmerland prohibitive Regelungen für den Import hatte, sodass hauptsächlich dort die Supermarktregale leer blieben.

Wir spüren die Folgen der Erderhitzung also schon, und nicht nur punktuell. Was aber, wenn die Zerstörungen so wuchtig und häufig werden, dass wir mit dem Wiederaufbau nicht mehr nachkommen?

Dann sind wir im nächsten Stadium der Krise. Auch dann bricht nicht sofort alles zusammen, aber wir werden priorisieren müssen, welche Infrastruktur wir erhalten und welche nicht. Es wird Straßen, Eisenbahnlinien, bewirtschaftete Flächen geben, die wir nicht wieder herstellen und weiter betreiben können, weil es uns an Ressourcen fehlt. Siedlungen, die in der Akutphase einer Überschwemmung nur aus der Luft versorgt werden können, weil die einzige Straße unpassierbar wurde, werden aufgegeben. Leider, wir haben nicht das Budget, diese Straße wieder herzustellen, das wäre sehr aufwändig und außerdem sind die Auswirkungen anderswo noch viel schlimmer. Wir müssen unsere Ressourcen dort einsetzen, wo sie am meisten bewirken, Sie verstehen das sicher. Aber auf der anderen Talseite…? Ach ja, da hat die Cousine des Herrn Landesrats ein Jagdhaus, und der Vierzehnender vor zwei Jahren, Sie wissen ja sicher, wie das in Österreich läuft.

Die Landflucht wird so zusätzlich verstärkt. Wo sollen die Leute schließlich hin? Auf einer globalen Skala ist das der Moment, in dem große Migrationsbewegungen einsetzen, von Gegenden, die schneller, stärker betroffen sind, in solche mit besseren Voraussetzungen. Neuankömmlinge beanspruchen einen Teil der ohnehin schwindenden Ressourcen, Alteingesessene werden ihre Besitzrechte verteidigen. Konflikte sind vorprogrammiert.

Das passiert übrigens nicht zum ersten Mal. Der amerikanische Archäologe Eric H. Cline hat 2014 nachgezeichnet, welche Kombination aus Faktoren den Kollaps der bronzezeitlichen Zivilisation im östlichen Mittelmeerraum herbeiführten und wie dieser ablief. Cline identifiziert vier Ursachen, die einzeln vielleicht auszuhalten gewesen wären, im Zusammenspiel jedoch dazu geführt haben, dass die Zivilisation verschwand: Eine Änderung des Klimas mit Dürren und Unwettern, Erdbeben, innere Unruhen und Eroberer von außen. All das führte zum Zusammenbruch langjähriger traditioneller Handelswege, jahrhundertealter politischer Systeme und letztendlich zum Verlust der Schrift als Grundlage von Politik, Wissenschaft und Kultur. Nicht von heute auf morgen, nein. Cline schätzt, dass der Zusammenbruch einer Zivilisation etwa hundert Jahre dauert, mehrere Generationen. Das ist aber durchaus schnell genug, dass sich Menschen am Ende ihres Lebens in einer gänzlich anderen Welt wiederfinden als der, in die sie hineingeboren wurden.

Aber warum sollte das für uns relevant sein? Ist unsere Gesellschaft nicht viel höher entwickelt und dadurch robuster?

Man könnte argumentieren, dass sogar das Gegenteil der Fall ist. Die Komplexität unserer Gesellschaft macht uns noch viel anfälliger dafür, dass viele Dinge gut genug funktionieren, um das System als ganzes aufrecht zu erhalten. Als 2021 das Containerschiff Ever Given nur sechs Tage lang den Suezkanal blockierte, hatte das spürbare Auswirkungen auf den Warenverkehr und die Lieferketten auf der ganzen Welt. Das war, wohlgemerkt, zu einem Zeitpunkt, als die weltweiten wirtschaftlichen Aktivitäten durch COVID keineswegs auf Rekordniveau liefen. 2023 stehen wir im Panamakanal vor einem ähnlichen Problem. Dort herrscht zur Zeit ein Wassermangel, der den Kanal nur eingeschränkt passierbar macht. Meteorolog*innen warnen davor, dass sich dieser Umstand in den kommenden Jahren wiederholen und verstärken wird. Sogar von einer Aufgabe des Kanals, durch den jetzt 6% des globalen Warenverkehrs gehen, in absehbarer Zeit ist die Rede.

Wir sehen also, es handelt sich keineswegs um kleinräumige Bedrohungen, und sie werden durch politische Entscheidungen noch verstärkt. Wenn die Ukraine kein Getreide mehr nach Nordafrika exportieren kann, weil Russland die Schwarzmeerhäfen blockiert oder zerstört, senkt das vielleicht in Europa kurzfristig die Lebensmittelpreise – ein Teil des Getreides wird über die Donau verschifft und könnte auf europäischen Märkten landen –, aber die Verzweiflung auf der anderen Seite des Mittelmeeres wird dazu führen, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg hierher machen. Keine Pushbacks der Welt können das auf Dauer verhindern, dafür sind die Zahlen der betroffenen Menschen einfach zu groß.

Wir dürfen auch die Komplexität des wissenschaftlichen und technischen Wissens nicht unterschätzen, auf dem unsere Gesellschaft fußt. Es reicht nicht, dass wir dieses Wissen einmal gesammelt haben, wir brauchen es verfügbar, anwendbar, und dazu müssen Menschen in der Lage sein, auf dieses Wissen zugreifen zu können. Ein Beispiel: Alleine der Betrieb eines europaweiten elektrischen Netzes braucht Tausende hoch ausgebildete Spezialist*innen. Aktuell mag sich das Risiko für ein großflächiges Blackout in engen Grenzen halten, aber langfristig mit beschädigter Infrastruktur, könnte das ganz anders aussehen.

Für das Gesundheitssystem gilt dasselbe. COVID-19 hat uns als Menschheit politisch, wirtschaftlich und technisch an unsere Grenzen gebracht. Die Auswirkungen hielten sich in Grenzen, weil wir in schwindelerregender Geschwindigkeit Impfstoffe und Medikamente herstellen und verteilen konnten, zumindest im reichen globalen Norden. Dennoch gab es Millionen Tote; die Langzeitfolgen für viele sind noch nicht abschätzbar. Zur Bekämpfung der Folgen haben wir, gerade in Österreich, sehr viel öffentliches und privates Geld eingesetzt, das jetzt weg ist.

Dabei waren die Voraussetzungen für uns so gut, wie sie es nur sein konnten. Die Menschheit war am Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, und die Krankheit war längst nicht so schlimm, wie sie es sein könnte. Weder war sie so ansteckend wie die Masern noch so tödlich wie Ebola. Und wir wussten, dass eine Pandemie statistisch betrachtet nach über 100 Jahren längst „überfällig“ war und waren durch ein gehäuftes Auftreten von Zoonosen in den zwei Jahrzehnten zuvor zusätzlich vorgewarnt. All das sind begünstigende Faktoren, von denen wir beim nächsten Mal nicht ausgehen können.

Die angesprochene Komplexität fußt auf der für einzelne Menschen gänzlich unüberschaubaren Menge unseres gesammelten kollektiven Wissens. Derzeit steigt es noch in schwindelerregendem Tempo an. In der nächsten Phase des Niedergangs dreht sich dieser Trend jedoch um. Dabei sehe ich die Gefahr weniger in aktiver Zerstörung und Wissensfeindlichkeit, obwohl es auch dafür sowohl historische als auch aktuelle Beispiele gibt. Vielmehr liegt die Achillesferse in der Weitergabe von Generation zu Generation. Wir könnten an einen Punkt kommen, wo die Anwendung des Wissens über die Lehre und selbst über seine Vermehrung durch Forschung priorisiert wird – schlicht weil nicht genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um alles abzudecken, und weil uns das metaphorische Hemd näher ist als der Rock. Innerhalb einer Generation mag das nicht auffallen, ist schließlich alles dokumentiert und man kann bei Bedarf nachlesen. Hält dieser Trend aber mehrere Generationen an, ist die Menschheit irgendwann nicht mehr in der Lage, die Dokumentation zu verstehen, geschweige denn, darauf aufbauend zu arbeiten. Das ist der Mechanismus, der letztendlich dazu führt, dass außerhalb einiger weniger Enklaven selbst die Kunst des Lesens und Schreibens verloren gehen könnte.

Wenigstens lässt uns die Erde in Ruhe, nicht? Derzeit ja, aber auch hier müssen wir uns vorbereiten: Als 2010 ein bis dahin weitgehend unbekannter isländischer Vulkan ausbrach, beeinträchtigte das den internationalen Flugverkehr für mehrere Wochen. Die Caldera von Yellowstone gibt der NASA Anlass zu erforschen, wie ein Ausbruch verhindert werden könnte. Ein guter Teil Kaliforniens steht auf der San-Andreas-Verwerfung, die so gut wie dauernd in Bewegung ist. Ein schweres Erdbeben hätte hier substanzielle Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Selbst in Wien können wir die Gefahr eines starken Erdbebens nicht ganz ausschließen.

Einige dieser Risiken sind außerhalb unserer Einflusssphäre, und einzeln können wir sie alle bewältigen. Ein Problem bekommen wir dann, wenn mehrere davon zusammenkommen oder wenn die Einzelereignisse so häufig werden, dass die Zeit und die Ressourcen dazwischen nicht mehr reichen, um die Folgen zu beseitigen. Unangenehmerweise ist das genau das Szenario, auf das wir mit der menschengemachten Erderhitzung zusteuern.

Werden wir also aussterben?

Border Cave Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Border_Cave00.jpg

Damit rechne ich nicht. Wenn die Spezies Homo Sapiens 100.000 Jahre in einer südafrikanischen Höhle überleben kann, dann wird sie das auch in einer zukünftigen Welt können. Unter welchen Umständen sie das kann, ist jedoch eine ganz andere Frage. Dass die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, in 100 Jahren nicht mehr existiert, ist leider mehr als plausibel. Ein lohnendes politisches Ziel ist das aber nicht, da sind wir uns hoffentlich einig.

Muss das so kommen?

Nun, es ist jedenfalls der Weg, den wir derzeit beschreiten, und zwar ganz aktiv und wider besseres Wissen. So gerne ich an dieser Stelle Zuversicht versprühen würde, ich bin ganz und gar nicht sicher, dass es uns gelingen wird, das Ruder noch herum zu reißen. Dabei ist eigentlich klar, was es braucht: Alle Anstrengungen, zu denen wir in der Lage sind, und zwar sofort. Die Temperatur so niedrig wie möglich halten. Energiewende. Agrarwende. Mobilitätswende. Und auch das Artensterben müssen wir in den Griff bekommen.

Selbst dann wird die globale Durchschnittstemperatur noch zumindest einige Jahrzehnte ansteigen. Die Welt wird sich dadurch ändern, und nicht zum Guten. Wir werden uns anpassen müssen. In den Städten heißt das, viel mehr Bäume pflanzen, aber auch alle Möglichkeiten der Beschattung nutzen, die kein Wasser verbrauchen. Außenrollos, Sonnensegel und so weiter, und so fort. Entsiegeln, was geht. Autos weg aus dem öffentlichen Raum, motorisierten Individualverkehr auf das unvermeidliche Minimum beschränken. Auf dem Land kann das tatsächlich heißen, gefährdete Lagen ganz aufzugeben. Flüsse renaturieren, der Natur den Raum lassen, den sie unter den geänderten Bedingungen braucht. Jedenfalls keine zusätzlichen Flächen mehr versiegeln. All das und mehr sind aber wirklich nur Anpassungsmaßnahmen, die nur dann sinnvoll sind, wenn es uns gelingt, die globale Erwärmung aufzuhalten.

Fünf Bücher

Einmal was ganz Persönliches:

Anlässlich der Wiedereröffnung bat die Parlamentsbibliothek die Klubobleute, ihr fünf Bücher zu nennen, die sie besonders geprägt haben.

Nikolaus Ganahl auf Twitter: "In der Bibliothek des wiedereröffneten Parlaments verraten uns die Klubobleute der Parlamentsfraktionen die jeweils 5 für sie prägendsten Büchern und was soll ich sagen:"
Die fünf prägendsten Bücher von August Wöginger

Ich nehme das zum Anlass, mir dieselbe Frage zu stellen, und ich muss zugeben, mir fiel die Auswahl nicht ganz leicht. Continue reading “Fünf Bücher”

Darf’s ein bisserl weniger sein?

Ich habe ja, wenn ihr euch erinnert, heuer im Juni einen Masterplan Gehen, wie ihn andere Bezirke schon haben oder ausarbeiten, auch für die Landstraße beantragt.(Die Bezirkszeitung hat berichtet.)

Gehsteig in der Linken Bahngasse.
Gehsteig in der Linken Bahngasse, an der schmalsten Stelle knapp über einen Meter breit

Der Antrag war eigentlich nicht meine Idee. Ich hatte ja schon im September 2021 unter dem Titel Raus aus dem Asphalt einen sehr grundlegenden Antrag zur Mobilitätswende im Bezirk gestellt. In ihrer Antwort schlug Stadträtin Sima vor, einen solchen Masterplan erstellen zu lassen. Continue reading “Darf’s ein bisserl weniger sein?”

Abschied nehmen

Edwin Austin Abbey: Cordelia's Farewell
Edwin Austin Abbey: Cordelia’s Farewell cc-by-sa

Liebe Leute,

es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Abschied vom Gewohnten, von der Welt, wie wir sie kennen. 2050 wird die Welt eine ganz andere sein als 2020, und könnten wir ins Jahr 2070 reisen, würden wir sie wohl kaum wiedererkennen.

Wir wissen nicht, wie die Welt in 30 oder 50 Jahren aussehen wird, aber das wissen wir: Es ändert sich alles, auf die eine oder andere Weise. Continue reading “Abschied nehmen”

#LobauBleibtSindWirAlle

Jetzt ist sie also weg, die Wüste. Stattdessen zieht sich durch die Donaustadt eine Spur der Verwüstung. Gleichzeitig mit der Räumung der Baustelle wurden heute im Auftrag der Stadt Wien rund 400 Bäume gefällt. War es das?

Die letzten Minuten der Pyramide
Die letzten Minuten der Pyramide

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten bei den Protesten gegen die Stadtautobahn in der Donaustadt für meine Verhältnisse ungewöhnlich ins Zeug gelegt. Physische Teilnahme an Aktionen fällt mir ja alles Andere als leicht. Mein Körper ist für sowas eigentlich ungeeignet.

Trotzdem, hier mache ich mit. Ich war schon Ende August bei der ersten Demo zur Eröffnung des Protestcamps dabei. So lang das Wetter warm war, bin ich regelmäßig hinaus geradelt, habe Material gebracht, mit den Leuten geredet, mitgearbeitet. Nach dem Brandanschlag, der mir sehr nahe gegangen ist, habe ich so oft wie möglich Nachtwache gehalten, damit die Aktivisti, die den ganzen Tag da sind, wenigstens zum Schlafen kommen. Ich habe an Plenen teilgenommen, Leute vernetzt, Informationen weitergegeben und geholfen, wo ich konnte.

Warum?

Die Frage ist legitim. Bei meiner Krankengeschichte ist meine Lebenserwartung nicht rasend hoch, ich muss nicht damit rechnen, die schlimmsten Auswirkungen der Erderhitzung noch zu erleben. Für mich selbst mache ich das also nicht. Ich habe auch keine Kinder, für die ich mich engagieren könnte. Warum ist es mir also trotzdem nicht egal? Es wäre doch viel bequemer.

Ja, warum eigentlich?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Leute, die dieses Projekt verfolgen, auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Derzeit geht die Bruchlinie nicht zwischen Warnenden und Leugnenden der Klimakrise. Der wesentliche Konflikt ist vielmehr der zwischen denen, die die Krise ernst nehmen und das Ruder wirklich noch herum reißen wollen, und denen, die glauben, wir werden uns da schon irgendwie heraus winden können, wird schon alles nicht so schlimm werden. Sehr österreichisch eigentlich, nur dass dieses Mindset auf der ganzen Welt sehr viele Anhänger*innen hat.

Die Wiener Stadtregierung ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Denkweise. In der offiziellen Kommunikation sagen sie oft das Richtige, sie wissen genau, was eigentlich getan werden müsste. Und dann gehen sie her und tun genau das Gegenteil. Wie diesen Straßenbau.

Leider geht es um sehr viel. Vielleicht nicht um den Fortbestand der Spezies Homo Sapiens (“Wir werden schon nicht aussterben”, wie es Wolfgang Sobotka einmal treffend formuliert hat), aber der Zusammenbruch der weltumspannenden menschlichen Zivilisation, das Ende der Geschichte, wie wir sie kennen, ein Rückfall in eine Zeit ohne Schrift, ohne Technik, etwa auf den Zivilisationsstand des frühen Mittelalters, ist durchaus realistisch. Wenn wir nichts oder zu wenig dagegen tun, sogar wahrscheinlich. Dafür will ich nicht mitverantwortlich sein.

Deswegen wird auch der Kampf sicher weiter gehen. Auch wenn es heute nicht so aussieht, wir sind mit einem Rückzugsgefecht konfrontiert, und die, die es führen, wissen das auch. In den letzten Monaten sind Proteststrukturen und eine -kultur entstanden. Menschen haben sich gefunden und vernetzt. Das geht nicht mehr weg, weil auch das Thema nicht mehr weg geht. Lobau Bleibt sind wir alle, und wir sind überall. Stellt euch besser darauf ein.

Wie hast du’s mit der Solidarität?

In den letzten Wochen habe ich viel Zeit mit Aktivist*innen der Klimabewegung verbracht. Ich habe die besetzten Baustellen und das Basiscamp besucht, Material vorbei gebracht, mitgearbeitet und mit den Leuten geredet.

Anders als in den Medien oft dargestellt, ist die Bewegung sehr, sehr vielfältig und besteht keinesweg nur aus jungen Leuten. Natürlich, je jünger man ist, desto drastischere Auswirkungen der Erderhitzung muss man in seiner Lebenszeit erwarten. Aber es gibt auch viele, die über die eigene Lebenszeit hinaus denken, oder die in der Lage sind, sich eine andere, bessere Welt vorzustellen oder eine lebenswertere Stadt, die wir in wenigen Jahren schaffen könnten, wenn wir nur wollten.

Auf der anderen Seite der Auseinandersetzung steht, und das ist für eine progressive, solidarische Partei vielleicht überraschend, die SPÖ. Wie kommt es eigentlich dazu? Continue reading “Wie hast du’s mit der Solidarität?”

Rückzugsgefechte

Die Stadt Wien eskaliert ihren Kampf gegen die Klimabewegung – so muss man das mittlerweile nennen – und schickt irgendwelchen Aktivist*innen, darunter auch solchen, die verbürgt überhaupt noch nie auf einer der Baustellen waren, eine Klagsdrohung. Eine konkrete Höhe nennen sie nicht, es stehen Millionenbeträge im Raum. Wir kennen noch gar nicht den ganzen Adressat*innenkreis und auch die Anzahl können wir nur schätzen, weil einfach Krethi und Plethi eine Beteiligung unterstellt wird.

Souveräner Umgang mit engagierten jungen Leuten sieht anders aus. Statt mit ihnen zu reden, schickt der Bürgermeister Beamte ohne Entscheidungsmacht vor und jammert dann, dass diese Scheingespräche ebenso im Nirwana enden wie seine Autobahn ins Nichts. Und jetzt dieser, wie wir in der Branche sagen, absolute dick move. Michael Ludwig und seine Getreuen wissen natürlich, dass sie ein Rückzugsgefecht führen, dass die Stadt in wenigen Jahrzehnten ganz anders aussehen wird – aussehen muss! – als sie sich das wünschen. Continue reading “Rückzugsgefechte”

Raus aus dem Asphalt!

Heute tagt in Wien Landstraße die Bezirksvertretung. Ich bringe einen sehr grundsätzlichen Antrag ein:
Es geht um nichts weniger als eine Weichenstellung weg vom Asphalt hin zu einer klimafitten Stadt mit Platz für alle!

"Wohnstraße" Maiselgasse
So sieht im Bezirk eine Wohnstraße (Maiselgasse) aus.

In der Vorbereitung auf die Sitzung habe ich mir angesehen, wie es mit dem Bewusstsein für die dringend nötige Veränderung in Wien aussieht. In den letzten Jahren sah es ja so aus, als wären wir in puncto Lebensqualität ausgezeichnet unterwegs. Viele Rankings führte Wien überhaupt an, selten waren wir nicht in den Top 10. Diese Zeiten sind bis auf weiteres vorbei. In einer kürzlich erschienenen Liste der 37 besten Städte der Welt kommt Wien gleich gar nicht vor. Höchste Zeit, das Ruder herum zu reißen!

Wie das geht, wissen wir, und damit meine ich nicht nur uns Grüne, obwohl auch wir natürlich schon sehr, sehr viele Vorschläge gemacht haben. Ich habe in die Begründung meines Antrages ca. 30 Zitate eingebaut, die meisten aus dem Wahlprogramm der SPÖ und aus dem Koalitionsabkommen der aktuellen Stadtregierung, wo es ein ganzes Kapitel zum Klimaschutz und zur notwendigen Anpassung an die Erderhitzung, von der Wien ja besonders stark betroffen ist, zu finden ist. Das Bewusstsein ist also da, nicht nur bei Ökofreaks und 12, 13jährigen Kindern, sondern auch an höchster Stelle.

Den Worten Taten folgen lassen

Es fehlt also nur mehr, die guten Absichten auch Realität werden zu lassen. Die Wienwahl ist jetzt bald ein Jahr her, und was wir seither an Veränderung in der Stadt gesehen haben, geht ganz in die falsche Richtung. Für den Bezirk gilt das weniger, hier meiden wir ja jede Veränderung wie der Teufel das Weihwasser. Es fühlt sich manchmal an, als hätte man die Landstraße in den 1980ern unter eine Glaskuppel gestellt oder in eine Zeitkapsel gepackt. Der Motorisierungsgrad stagniert seit Jahren, während er in anderen Bezirken teils deutlich sinkt. Die Verkrustung aufzubrechen ist natürlich Knochenarbeit, aber es lohnt sich. Die Landstraßer Grünen haben 2020 eine umfangreiche Studie zur Verkehrswende im Bezirk vorgelegt. Das ist natürlich nicht alles. Auch an Wasserentnahmestellen, attraktiven Grünflächen im Straßenraum und Bäumen mangelt es, eigentlich generell an Platz für die Menschen. Am Höhepunkt der Pandemie 2020 gab es, anders als in anderen Bezirken, auch keine Initiative, Lokalen größere Schanigärten mit mehr Abstand zu günstigen Konditionen zu ermöglichen.

Das sind alles keine Neuigkeiten. Es ist klar, was es braucht, und es ist auch klar, dass das nur geht, wenn wir die Verteilung des Platzes im öffentlichen Raum neu denken. Dazu fordert mein Antrag auf.

Dass das möglich ist, und dass Städte, die ihren Platz anders verteilen, wirklich lebenswerter sind, sehen wir an internationalen Vorbildern. New York hat eine seiner schlimmsten Verkehrshöllen, den Times Square, bereits 2009 gänzlich autofrei gemacht. Kopenhagen hat über viele Jahre die Zahl der Autostellplätze um 2-3% pro Jahr reduziert – und nennt das eine sanfte Reduktion. Damit wird niemand überfallen, aber umgelegt auf unseren Bezirk bedeutet das eine Reduktion um etwa 1000 Stellplätze pro Jahr, eine Fläche doppelt so groß wie der Rochusmarkt mit seinen angrenzenden Straßen, ein Viertel in zehn Jahren. Anne Hidalgo, die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Paris, will überhaupt von den 140.000 Stellplätzen im Stadtzentrum – die Fläche entspricht in etwa den Wiener Bezirken 1-9 – ganze 60.000 ersatzlos auflassen.

Was man mit dem freiwerdenden Platz alles machen könnte!

Die Möglichkeiten sind schier endlos. Einige habe ich im Antrag aufgezählt, auch mit einer gewissen Rangreihung. Am wichtigsten ist, dass wir so viel Fläche wie möglich entsiegeln und begrünen. Unter den Anpassungsmaßnahmen an die Hitze ist das die wichtigste. Schwarzer Asphalt ist so ziemlich die schlechteste Oberfläche, die der Boden in der Stadt haben kann. Er lässt kein Wasser durch, und in der Sonne heizt er sich besonders stark auf.

Natürlich braucht es auch in Zukunft Verkehrsflächen. Auch hier geht es um eine Umverteilung: Weniger als ein Drittel der Fahrten wird in der Stadt mit dem Auto zurückgelegt – und davon wären etwa 90% eigentlich vermeidbar –, dennoch beanspruchen sie im typischen Wiener Straßenquerschnitt zwei Drittel bis drei Viertel der Fläche. Stattdessen müssen wir auf mehr Platz für aktive Mobilität setzen – zu Fuß Gehen und Radfahren sind gerade innerstädtisch die idealen Fortbewegungsarten, sie sind gesund und bringen Leben auf die Straße. Auch hier sehen wir am Beispiel von Paris, wie atemberaubend schnell sich die Leute anpassen, wenn man ein gutes Angebot schafft.

Die Landstraßer Hauptstraße war vor zehn Jahren noch so etwas wie die kleinere, charmantere Schwester der Mariahilfer Straße. Anders als dort wurden in der Landstraße die kleinen Biedermeierhäuser nicht, oder wenigstens nicht alle, durch die größeren, imposanteren Gründerzeithäuser ersetzt. Seit damals wurde die Mariahilfer Straße stark entwickelt, während man der Landstraßer Hauptstraße deutlich ansieht, dass ihre letzte wesentliche Umgestaltung bereits Jahrzehnte zurück liegt. Zu schmale Gehsteige sind hier nur die Spitze des Eisberges. Das größte Problem sind die Mehrzweckstreifen, die die Sicherheit für Radfahrende nicht erhöhen, sondern sogar senken, weil sie den Verkehr genau in die besonders gefährliche Türzone der danebenliegenden Parkstreifen zwängen. Im Wahlkampf hat der Bezirksvorsteher einem baulich getrennten Radweg zugestimmt, diese Zustimmung dann aber gleich wieder zurückgenommen.

Und dann gibt es natürlich noch andere Verwendungen, für die der Platz, den derzeit Autos exklusiv beanspruchen, dringend gebraucht würde. Am besten ist es, die Verwendung für ein bestimmtes Stück Fläche nicht auf eine einzige Art einzuschränken, wie es derzeit der Fall ist, sondern die Menschen selbst entscheiden zu lassen, wie sie den Platz nutzen. Warum nicht einmal einen Campingtisch vor die Tür stellen und auf der Straße frühstücken? Derzeit ist das nicht nur unattraktiv – wer sitzt schon gern im Lärm und den Abgasen? – sondern auch gar nicht erlaubt. Spielende Kinder auf der Straße? Viel zu gefährlich. Kleine Veranstaltungen, einen Infotisch? Aber bitte nur am Gehsteig. Für all das und noch viel mehr können wir Platz schaffen. Mein Antrag ist dazu die erste Weichenstellung.