Ein guter Ruf ist nicht genug

Im letzten Beitrag ging es um die schwierige Schnittstelle zwischen haupt- und ehrenamtlich Engagierten. Eine Gruppe, die ich dort nicht angesprochen habe, und die auch in meiner Masterarbeit aus Platzgründen nicht vorgekommen ist, sind Expert*innen.

Es ist nämlich so: Niemand kann alles, aber wir alle können viel. Meistens können wir etwas besonders gut. Und es gibt Leute, die können etwas viel besser als andere Leute. Ich werde mich jetzt nicht auf die Diskussion zwischen Generalist*innen und Spezialist*innen einlassen (auch wenn ich das in der agilen Welt verbreitete Konzept der T-Shaped Skills persönlich recht ansprechend finde). Mir geht es vielmehr um einen anderen Punkt: Es gibt in jeder Organisation Menschen, die sehr viel oder eine Sache ganz besonders gut können. Diese Umstand ist nicht unbedingt, was die Leute zur Organisation bringt. In einer politischen Partei engagiere ich mich, weil ich ihre Werte teile, nicht weil meine Skills dort besonders gefragt sind. Dasselbe gilt für eine NGO oder, um ein sehr beliebiges hypothetisches Beispiel heraus zu greifen, für den Fußballverein meiner Kinder.

Für die Organisation ist es natürlich sehr erstrebenswert, das Potential ihrer Aktivist*innen für ihre Arbeit zur Verfügung zu haben. Das ist allerdings nicht immer ganz einfach. Hier nur ein paar Dinge, die es dabei zur berücksichtigen gibt:

Die Leute finden: Ich muss wissen, dass die Person Teil meiner Organisation ist, und was sie kann. Schon das kann eine Hürde sein, weil in den Büros Menschen sitzen, die ihre eigene Expertise (oft Kommunikation, Organisation o. dgl.) haben und nicht unbedingt verstehen, worin das herausragende Wissen besteht oder wie es der Organisation helfen kann. Von einigen politischen Parteien kenne ich Versuche des Self Assessments, allerdings darf man da nicht auf den Dunning-Kruger-Effekt vergessen.

Grad des Engagements: Wie viel Kontakt hat die Person mit der Organisation? Ist sie Mitglied? Engagiert sie sich aktiv? Darf sie das überhaupt? Da gibt es ganz viele Spielarten. Jemand kann zum Beispiel in einer Bezirksgruppe aktiv sein und selbst ein Mandat haben. Genauso gut kann die Person aber in einer befreundeten Organisation arbeiten und nur gelegentlich für Kontakte zur Verfügung stehen. Umwelt-NGOs sind etwa besonders streng, wenn es darum geht, ob sich ihre Mitarbeiter*innen parteipolitisch engagieren. Wirtschaftsverbände haben da viel kleinere Berührungsängst. Je nachdem, wie eng die Person in die Strukturen der Organisation eingebunden ist, können verschiedene Beteiligungsmodelle helfen.

Persönliche Wünsche und Vorstellungen: Für mich etwa ist die Politik der Ausgleich zu meiner beruflichen Tätigkeit. Jetzt, als Selbständiger, muss ich mir sehr genau überlegen, ob und in welchem Ausmaß ich Tätigkeiten ehrenamtlich ausführen möchte, für die ich den Rest der Woche Rechnungen stelle.  Soll der freie Journalist in unserer Gruppe die Zeitung gestalten oder gerade eben nicht? Profis ist das sehr bewusst, und sie können diese Grenze ziehen. Andererseits stellt sich die Frage, ob meine Zeit und Energie am besten mit Aktionen verwendet wird, die andere genau so gut wie ich können, oder sogar besser.

Verlässlichkeit: Vorige Woche habe ich schon kurz angesprochen, dass Tätigkeiten, die unbedingt erledigt werden müssen, eigentlich nur bezahlt funktionieren, weil nur so die nötige Verbindlichkeit hergestellt ist. Das ist weniger eine Frage des Charakters als der Priorisierung. Bei einfachen Dingen wie der klassischen Flyeraktion kommt eben schnell etwas Persönliches dazwischen, das wichtiger ist. Hier reden wir jetzt aber davon, dass ein Profi Dinge tun soll, die sie oder er besonders gut kann. Meiner Erfahrung nach bringen Leute in so einem Setting ihr professionelles Mindset mit, und das schließt einen hohen Grad an Verlässlichkeit mit ein. Dennoch kann es sein, dass etwas dazwischen kommt, besonders eine der vielen beruflichen Verpflichtungen, die hoch qualifizierte Leute oft haben. In beiden Fällen gilt: Es muss allen Beteiligten klar sein, was erwartet werden kann und wo die Grenzen liegen. Beim Flyern teile ich vielleicht einfach zwei Leute mehr ein und rechne mit einer gewissen Anzahl an Ausfällen. Spezielle Tätigkeiten sind allerdings nicht so leicht zu ersetzen. Das führt andererseits wieder dazu, dass Hauptamtliche oft sehr skeptisch sind, wenn es darum geht, solche Aufgaben Ehrenamtlichen zu überlassen, selbst wenn diese dazu bestens in der Lage sind und persönlich einen sehr guten Ruf genießen.

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