Seit die ÖVP wenige Tage nach der Wahl Gespräche mit den Freiheitlichen zur Bildung einer Koalition aufgenommen hat, steht die neue Führungsriege der Republik im Kreuzfeuer der Kritik. Gründe dafür gibt es zweifellos genug, von der Personalauswahl der Verhandlungsteams, dem Umgang mit dem Parlament, bis hin zu zahlreichen Wortmeldungen handelnder Personen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz‘ rechte Hand, der neue Kanzleramtsminister Gernot Blümel, fühlte sich schon wenige Tage nach ihrer Bildung zwischen Weihnachten und Neujahr bemüßigt, uns zu bitten, die neue Bundesregierung doch an ihren Taten zu messen. Wo genau er in der Politik die Grenze zwischen Aussagen und Taten zieht, erklärt Blümel nicht. Egal. Nehmen wir ihn beim Wort.
Was sind also die Taten der neuen Bundesregierung? Welche Maßnahmen hat sie bisher gesetzt oder konkret angekündigt?
Frauen zurück an den Herd
Da wäre einmal der Stellenwert, den die neue Kompetenzverteilung der weiblichen Mehrheit der Bevölkerung einräumt. Statt in einem Ministerium sind die Frauenagenden nunmehr im Bundeskanzleramt angesiedelt, und zwar nicht direkt beim Bundeskanzler, sondern bei Ministerin Juliane Bogner-Strauß. Man mag jetzt kritisieren, dass das an sich eine Abwertung darstellt, aber viel problematischer ist die für Konservative typische Gleichsetzung von Frauen- und Familienpolitik. Der Platz der Frau ist zuerst in der Familie, daher ist Familienpolitik Frauenpolitik, und Frauenpolitik ist Familienpolitik. Konsequenterweise finden sich die Zuständigkeiten für beide Bereiche jetzt in einer Hand, wobei „Familie“ im Regierungsprogramm (Seite 9) als eines der „Prinzipien“ definiert wird:
„Die Familie als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern ist die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft und garantiert zusammen mit der Solidarität der Generationen unsere Zukunftsfähigkeit. Für uns stehen vor allem die Kinder im Mittelpunkt – Familie soll ein Ort sein, wo sie behütet aufwachsen können und gut auf das Leben vorbereitet werden.“
Wie schlägt sich dieses Prinzip nun in konkreten Taten nieder? Eine der ersten Maßnahmen, welche die Koalition in die Wege geleitet hat, ist eine klassische Herdprämie, pardon, ein „Familienbonus“. Derartige Transferleistungen gehören zur Grundausstattung des konservativen politischen Inventars. Im Kern geht es darum, dass es attraktiver wird, wenn ein Elternteil – fast immer die Frau – daheim bleibt und sich um die Kinder kümmert. Der „Familienbonus“ erreicht das, indem er den bestehenden Absetzbetrag für Kinderbetreuungskosten ersetzt. Letzterer kann nur in Anspruch genommen werden, wenn auch tatsächlich Betreuungskosten außer Haus anfallen. Für den „Familienbonus“ gilt das nicht, die Familie profitiert also davon, wenn die Kinder gratis betreut werden. Die Auswirkungen ähnlicher Maßnahmen in anderen Ländern sind je nach Ausgestaltung unterschiedlich, der Verdrängungseffekt vom Arbeitsmarkt in den häuslichen Bereich ist aber jedenfalls messbar.
Die Politisierung der hohen Beamtenschaft
Schon bisher gab es im Außenministerium die Funktion eines Generalsekretärs. Ein prominenter Amtsinhaber etwa war der langjährige Spitzendiplomat Thomas Klestil, der aus diesem Amt heraus 1992 zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Die neue Regierung führt die Funktion jetzt in allen Ministerien ein. Die Generalsekretäre bedürfen, wenn sie selbst keinen Beamtenstatus haben, nicht der Bestätigung durch den Bundespräsidenten, sind aber dennoch gegenüber den Sektionschefs weisungsbefugt. Gemeinsam mit einer wieder steigenden Zahl an Mitarbeitern in den nur dem Minister persönlich verpflichteten Kabinetten stellen die Generalsekretäre einen weiteren Schritt in Richtung einer immer stärker politisierten Hoheitsverwaltung dar.
Der sozialpolitische Kahlschlag
Lassen wir einmal die Krankenkassen außen vor. Wir wollen die Regierung ja an den Taten messen, und in diesem Bereich sehe ich bisher nicht mehr als vage Vorschläge.
Wer in den nächsten Jahren die Arbeit verliert und nicht bald wieder eine findet, dem bläst allerdings verlässlich ein rauer Wind entgegen. Diese Maßnahme ist dem Bundeskanzler so wichtig, dass er sich dabei auf keinen Fall in die Parade fahren lassen will und sogar gleich am Anfang den offenen Konflikt in seinem Kabinett in Kauf nimmt. Die Sache fußt natürlich auf der arroganten Annahme, dass Menschen, die lange arbeitslos sind, einfach zu faul sind, sich eine Stelle zu suchen. Dieser klassische konservativ-neoliberal Spin ist von den Tatsachen weit entfernt.
Mit geht es dabei nicht um irgend einen diffusen Gerechtigkeitsbegriff. „Gerechtigkeit“ ist vielleicht das am meisten überstrapazierte Wort unserer Zeit. Im letzten Wahlkampf hat es wirklich jede und jeder im Mund geführt, und was die Parteien damit meinten, hätte unterschiedlicher nicht sein können. So ein Begriff ist keine geeignete Grundlage für politisches Handeln.
Die wachsende Soziale Ungleichheit darf aber auch den Gutsituierten unter uns nicht egal sein, schon aus Gründen des Selbstschutzes. Armut ist nicht die Ursache von Kriminalität, in dem Sinn, dass wer arm ist, etwa zum Verbrechen neige. Aber eine wachsende Ungleichheit geht systemisch oft mit einer steigenden Anzahl vor allem von Eigentumsdelikten einher. Sozialpolitik ist eben immer auch Sicherheitspolitik, und zwar die wesentlich effektivere als die, die im Augenblick auf uns zu kommt. Aber vielleicht ist das einigen ja auch ganz recht so.
Sobotkas Spitzelpaket
Es war die Aufregung des Sommers und fand, für derartige Themen sehr ungewöhnlich, sogar Eingang in den beginnenden Wahlkampf: ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka wollte die anlasslose Überwachung der gesamten Bevölkerung und schreckte dabei vor tiefen Eingriffen in die Grundrechte ebenso wenig zurück wie vor technisch unpraktikablen Lösungen. Die FPÖ stand dem damals sehr kritisch gegenüber. Nach der Wahl will Neo-Innenminister Kickl nun genau dasselbe Paket so schnell wie möglich durchwinken. Natürlich hat sich an der Grundrechtswidrigkeit seither nichts geändert, und eine praktikable technische Umsetzung ist auch nicht über Nacht aufgetaucht. Die 180°-Wendung der FPÖ in diesem Punkt ist jedenfalls beachtlich. Und das ist vielleicht nur ein Vorgeschmack.
Die europapolitische Zündelei
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, diese Regierung als pro-europäisch einzuordnen? Wir haben einen Bundeskanzler, der in seiner früheren Funktion auf der Europäischen Bühne vor allem durch Abwesenheit glänzte., der unsere wichtigsten Verbündeten, allen voran die Deutschen und Bundeskanzlerin Angela Merkel, seit Jahren mit seiner Politik vor den Kopf stößt.
Das ist an sich nichts Neues. Vorangegangene österreichische Regierungen verfolgten auf europäischer Ebene keine Herzensthemen, zeigten kein besonderes Engagement für irgendwelche Materien und erarbeiteten sich so auch nicht jenes politische Kapital, das für die Durchsetzung eigener Interessen in Brüssel unumgänglich ist. Eine Ausnahme gab es: Abschiebungen. „Österreich ist in keinem Bereich der EU so engagiert wie bei Frontex“, schrieb die deutsche Zeit schon 2010. Das österreichische Selbst- und Fremdbild klaffen in keiner Frage so weit auseinander wie in unserer Position zur Europäischen Union.
Neu ist, dass sich die Koalition jetzt offen von den großen Playern der Union ab- und den demokratisch teils zweifelhaften Regimen der Visegrad-Gruppe zuwendet. Und natürlich, dass mit der FPÖ jetzt ein Mitglied der rechts außen verorteten und die Europäische, wie eigentlich jede, Integration offen ablehnenden ENF-Fraktion der Regierung angehört, die, von staatstragendendem Geist nicht unbedingt erfüllt, das Zündeln nicht lassen kann.
Der umweltpolitische Offenbarungseid
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Was ist schlimmer? Dass die Umwelt weiterhin in puncto Zuständigkeit ein Anhängsel der Landwirtschaft bleibt (was keineswegs zwingend ein Widerspruch sein muss, in der konkreten österreichischen Politik aber an den sprichwörtlichen Bock erinnert, der hier buchstäblich zum Gärtner gemacht wird)? Dass die Umwelt(!)ministerin für Schneekanonen, Tempo 140 auf Autobahnen und die umstrittene dritte Piste am Schwechater Flughafen eintritt? Dass sie wirksame klimapolitische Maßnahmen rundheraus ablehnt? Oder doch die angestrebte Senkung aller möglichen Standards, vom geschwächten UVP-Verfahren (im Regierungsprogramm auf Seite 134 als „Durchforstung der umweltrechtlichen Materiengesetze betreffend öffentliches Interesse hinsichtlich unbestimmter Gesetzesbegriffe“ verschwurbelt), das etwa den Widerstand gegen den teuren und schädlichen Lobautunnel brechen soll, über die plötzliche Zustimmung der FPÖ zu CETA bis hin — natürlich — zum Nichtraucherschutz, der auf die lange Bank geschoben werden soll. Alles Maßnahmen, die dazu führen werden, dass Menschen sterben, übrigens.
Dem gegenüber stehen vage Ankündigungen zu Klimazielen, Kohleausstieg und ähnlichem.
Aber daran sollen und wollen wir die neue Regierung ja nicht messen.