Immer, wenn bei den Grünen eine wichtige Entscheidung ansteht, wird sie beschworen: die berühmte „Basis“. Auch andere Parteien haben eine Basis, aber die Grünen haben sich „basisdemokratisch“ als einen ihrer Grundwerte auf die Fahnen geschrieben, insofern überrascht nicht, dass sie hier eine besondere Rolle zu spielen scheint. Am liebsten wird „die Basis“ in Verbindung mit Verben wie „brodeln“ oder „revoltieren“ in Verbindung gebracht, manchmal auch mit Adjektiven wie „folgsam“, „rebellisch“, je nach Stimmungslage.
Aber wer ist das eigentlich, „die Basis“? Wer trifft bei den Grünen die Entscheidungen?
Der Parlamentsklub
Noch 2019 waren die Abgeordneten die absolute Spitze der Partei. Es gab keine höherrangigen Vertreter_innen, und auch diese waren erst ganz neu wieder in den Nationalrat eingezogen. Das ist jetzt anders. Der Vizekanzler ist ein Grüner, drei Ministerien werden von Grünen geleitet. Die Abgeordneten und auch die fünf Grünen Mitglieder des Bundesrates sind aber natürlich in alle Verhandlungen eingebunden. Ohne ihrer Unterstützung kann die Regierung nicht weiter bestehen. Schon sechs Grüne Stimmen könnten einen Misstrauensantrag der Opposition zum Erfolg führen, vorausgesetzt, die Opposition stimmt geschlossen ab. Der Parlamentsklub mag aktuell nur die zweite Reihe sein, die „Basis“ ist das aber sicher nicht.
Die Bundesländer
In allen neun Bundesländern gibt es Grüne Landesgruppen, die außer in Kärnten auch in allen Landtagen vertreten sind. Es gibt zahlreiche formelle und informelle Foren, in denen sich Vertreter_innen der Landesgruppen austauschen. Alle gemeinsam beschicken den erweiterten Bundesvorstand, es gibt Runden der Landesgeschäftsführer_innen, der Finanzreferent_innen und so weiter, wie in allen Parteien.
Natürlich haben die Landesparteien auch alle ihre eigenen Gremien. Die heißen ganz unterschiedlich und auch die Struktur und Beschickung ist nicht einheitlich. Manche bestehen aus Menschen, die Vollzeit in der Politik arbeiten, mache wenigstens teilweise aus Ehrenamtlichen. Da kommen wir der „Basis“ schon näher.
Ausnahmslos Berufspolitiker_innen sind die ca. 50 Landtagsabgeordneten und Mitglieder der Landesregierungen. Diese sind ein bisschen in einer Sandwichposition. Einerseits haben sie einen beträchtlichen Informationsvorsprung gegenüber den ehrenamtlich tätigen Aktivist_innen und auch direkten Zugang zu den diversen Spitzenfunktionär_innen, andererseits sind sie aber in den Bezirken und Gemeinden relativ fest verankert. Das versetzt sie natürlich in die Lage, Stimmungen aufzunehmen und weiter zu tragen, und auch ihre inhaltliche und strategische Einschätzung ist von besonderer Bedeutung.
Der Bundeskongress
Alle bisher Genannten sind Delegierte am Bundeskongress, dem höchsten beschlussfassenden Gremium der Bundespartei. Es handelt sich dabei um keine Mitgliederversammlung; vielmehr besteht der Buko etwa je zur Hälfte aus Amtsträger_innen und gewählten Delegierten der Landesparteien. Die Anzahl teilt sich nach einem Bevölkerungsschlüssel auf, kein Land hat weniger als neun Delegierte, Wien als größtes Bundesland 29. (Yours truly ist einer davon.)
Wenn wir etwas vom „Aufstand der Basis“ lesen, ist meistens der Bundeskongress gemeint. Im Vergleich zur Mitgliederzahl handelt es sich um relativ wenige Menschen, die meisten davon verdienen noch dazu Geld in der Politik (wenn auch sehr unterschiedlich viel). Dennoch: Nirgendwo sonst sind mehr Grüne aus dem ganzen Land versammelt, nirgendwo gibt es einen breiteren Austausch. Nirgendwo ist die Spitze der Partei für einen größeren Kreis direkt zugänglich.
Im Zuge einer Regierungsbildung hat der Bundeskongress eine Reihe von wichtigen Kompetenzen. Regierungsmitglieder müssen bestätigt, das Regierungsprogramm beschlossen werden. Verweigert der Buko seine Zustimmung, können die Grünen nicht in eine Regierung eintreten.
Beendet wird die Koalition aber anders. Es gibt 100 Wege, die zum Ende einer Regierung fallen. Der Bundespräsident kann sie entlassen. Der Nationalrat kann ihr das Vertrauen versagen. In der Abstimmung sind die Abgeordneten völlig frei in ihrem Mandant und an keine Beschlüsse der Partei gebunden.
Die Mitarbeiter_innen
Eine Sonderstellung nehmen die Mitarbeiter_innen in der Bundes- und Landesparteien, in den Kabinetten und auch den im Parlament und den Landtagen ein. Bei weitem nicht alle von ihnen sind Parteimitglieder. Manche haben Mandate in Gemeinderäten oder Bezirksvertretungen, aber die Mehrheit ist das meiner Einschätzung nach nicht. Sie stellen ihre Expertise zu einem Fachbereich den Abgeordneten oder Regierenden zur Verfügung. Manche von ihnen arbeiten schon seit vielen Jahren in ihrer Rolle, vor allem Jüngere wechseln nach einigen Jahren die Seite und bewerben sich um ein Mandat. Das ist keine Besonderheit der Grünen. Klub- und Kabinettsmitarbeiter_innen sind in allen Parteien die wichtigste Personalreserve.
Grüne in Ländern, Städten und Gemeinden
In Wien sind wir als Grüne in einer sehr bequemen Position: In allen 23 Bezirken gibt es Bezirksgruppen, die auch alle Mandate in ihrer jeweiligen Bezirksvertretungen haben. Drei Bezirke, der Neubau, die Josefstadt und Währing, werden überhaupt Grün regiert.
In den anderen Bundesländern sieht es längst nicht so rosig aus. Erst seit 2018 stellt die Partei überhaupt erstmals einen Bürgermeister (Georg Willi in Innsbruck). Die Zahl der Gemeindegruppen wächst tendenziell, von einer flächendeckenden Vertretung kann aber noch lange nicht die Rede sein.
Wo es sie gibt, sind die kommunalen Gruppen für Neueinsteigende natürlich die leichteste Möglichkeit anzudocken. Das hat Vor- und Nachteile. Man trifft sich oft, hat oft gemeinsame, ganz konkrete Anliegen – das eine unmöglich Bauprojekt, die Straße, die Schule – und einen ähnlichen Informationsstand. Andererseits ist die Kommunalpolitik auch ein ganz besonderes Milieu. Die großen Dinge, die überall in Österreich diskutiert werden, stehen dort nicht zur Debatte. Nicht jede_r interessiert sich für den langwierigen Kampf um jede einzelne Parkbank, während man gleichzeitig von Informationen und Entscheidungen oft ausgeschlossen ist.
Hier ist sie also, die „Basis“. Bleibt die Frage, wie kann sie Druck machen? Ein Vorteil, den eine kleine Partei für Politikinteressierte hat, ist der Umstand, dass die Strukturen sehr schlank und die Hierarchien daher sehr flach sind. Es ist leicht, Kontakt zumindest auf die Landesebene zu bekommen. Niemand muss sich über Jahre, Jahrzehnte hochdienen, um gehört zu werden. Alle Listen werden auf Mitgliederversammlungen gewählt, niemals von irgendwelchen Führungsfiguren bestimmt, daher haben alle Mandatar_innen ein Interesse daran, die Leute zu kennen und nicht nur aus den Medien bekannt zu sein. Natürlich gibt es dazwischen Aggregatoren, aber relativ wenige, und jedenfalls nicht viele isolierte Schichten. Entscheidungen fallen selten im sprichwörtlichen Hinterzimmer und müssen immer gerechtfertigt werden. Anders als bei anderen Parteien gibt es bei den Grünen wenige Wahlkreismandate und keine Bezirkskaiser. Stattdessen sind alle überall unterwegs und relativ leicht greifbar. Das ist letztlich, was „der Basis“ ihren Einfluss verschafft.