156 Kilo Mensch.
Bistdumoped, war das eine Nacht neulich.
Ich hätte sicher besser aufpassen sollen, aber es war Besuch da, und die Haferkekse waren so gut, und im Supermarkt war der Cremespinat aus, und in meinem schlauen Buch stand, Kochsalat ist eh auch gut, und auf die paar Erbsen wird es schon nicht ankommen…
Und dann, kurz vor dem Schlafengehen, schreibt irgendwer auf Twitter irgend so einen schädlichen, gefährlichen Blödsinn und regt mich wirklich, wirklich auf.
Wie geht es euch, wenn euch was ärgert? Könnt ihr das einfach abstreifen und zur Tagesordnung übergehen? Schreit ihr euren Zorn hinaus? Tretet ihr wo dagegen?
Ich wünschte, ich könnte das. Wenn ich zornig werde, richtet sich das zur Gänze nach innen. Mein Blutdruck steigt, ich werde rot im Gesicht, ich bekommen kaum Luft, und damit meine Hände sich nicht völlig unkontrolliert bewegen und ich mich ernsthaft verletze, habe ich vor vielen Jahren schon die Angewohnheit entwickelt, sie aneinander zu reiben, als wäre mir kalt. Manchmal fragt mich dann wer, ob ich Hilfe brauche, weil es aussieht, als gäbe ich gleich den Löffel ab. Nein, danke, ich ärgere mich nur. Ist gleich vorbei.
So war es auch am Dienstag. Nur dass das dieses Mal auf meinen noch relativ frisch operierten und etwas zu vollen Magen und Darm traf.
Ich muss ein bisschen abschweifen: Auch nach einer bariatrischen OP, so heißen Operationen zur Gewichtsreduktion im Fachjargon, funktioniert das Abnehmen im Prinzip genau so wie zuvor. Man nimmt weniger Kalorien auf, als man verbraucht, und zum Ausgleich verbrennt der Körper Fett. Das Fasten bleibt mir also nicht erspart, und die Esssucht ist auch nicht einfach so verschwunden. Ich habe immer noch dauernd Lust auf Essen, und zwar meistens nicht irgendwas, sondern etwas Bestimmtes. Kuchen, zum Beispiel, oder ein Steak, oder Nudeln Carbonara. Muss sein! Jetzt!
Ein Punkt ist allerdings schon anders: Früher wusste ich, wenn ich das esse, wonach der Körper und die Psyche verlangen, geht es mir kurzfristig gut. Ich fühlte mich nach dem Essen sicher, geborgen, entspannt, belohnt, je nachdem. Die negativen Effekte stellten sich erst mittel- bis langfristig ein: Morgen, das wusste ich, würden mir die Gelenke wieder weh tun, ich würde mich in der Öffentlichkeit, so gut es ging, verstecken, die Leute trotzdem tuscheln und mit dem Finger zeigen. Aber das war eben erst morgen. Heute ging es mir gut, ich war satt.
Seit Dienstag weiß ich, dass dieser Mechanismus nachhaltig unterbrochen ist. Wenn ich nicht auf mich achte, wenn ich zu viel esse, bekomme ich das ab sofort zu spüren, so wie Dienstag Nacht. Plötzlich fühlte ich bei jedem Atemzug einen stechenden Schmerz, konnte nur mehr flach atmen. Ob mein Magen geplatzt war? Oder die künstliche Öffnung im Darm gerissen? Wenn Magensaft in die Bauchhöhle austritt kann das schwerwiegende Konsequenzen haben, bis hin zum Tod. Und warum war der Bauch auf einmal so aufgebläht? Jede Bewegung tat weh. Nicht einmal eine erträgliche Ruheposition konnte ich finden, weil ich mir auch etwas in der Schulter gezerrt hatte und mein linker Arm kaum zu verwenden war. Außerdem wurde mir immer wieder schwarz vor den Augen, mein Gesichsfeld schrumpfte zu einem engen Tunnel, und mit dem Gleichgewicht hatte ich auch Schwierigkeiten.
Etwa eine Stunde ertrug ich die Schmerzen, bis sie, auch mit Hilfe zweier Schmerztabletten – Novalgin, das ganz starke Zeug – ein wenig nachließen und ich mich ins Bett legen konnte. Irgendwann schlief ich dann auch ein, und nach einigen Stunden unruhigen Schlafes fühlte ich mich wieder ein Stück besser.
Am Mittwoch dann Bilanzziehen: Fieber habe ich jedenfalls keines, also wohl auch keine gefährliche Bauchfellentzündung. Die Schulter tut noch weh. Was die Nahrung betrifft, bin ich zurück bei Joghurt und Kräutertee. Mein Blutzucker ist aber stabil, das ist also nicht der Grund für den Schwindel und den Tunnelblick.
Insgesamt also eine furchtbare Nacht und eine neue Erfahrung, aber offenbar kein bleibender Schaden. Jetzt weiß ich immerhin, was mir blüht, wenn ich die Sucht gewinnen lasse. Ich hoffe, das kommt nicht zu oft vor.
Auch auf der Waage macht sich der Rückschlag bemerkbar. Obwohl ich kaum etwas essen konnte, habe ich zwei Tage hintereinander ein bisschen zugenommen. Am Freitag war das Gewicht dafür wieder auf einem neuen Tiefpunkt.