Zäh wie Kaugummi

148 Kilo Mensch.

Findet ihr das auch so blöd wie ich, wenn in irgendwelchen Illustrierten irgendwelche Diäten beworben werden und dann davon die Rede ist, dass „die Kilos purzeln“? Es ist ja nicht so, also würden mir dauernd irgendwelche Brocken aus dem Hemd fallen. Nein, das Abnehmen ist direkt überhaupt nicht spürbar. Ich steige jeden Tag auf die Waage, und es ist immer spannend. Aber auch wenn gar nichts purzelt: In den letzten 10 Tagen habe ich 8 Kilo abgenommen.

Chart: 148 Kilo
148 Kilo

Jetzt die schlechte Nachricht: Das ist mehr, als eigentlich gut für mich wäre, und das hat auch einen Grund. Ich konnte die letzte Woche kaum etwas essen. Eigentlich hätte ich erwartet, dass die Nahrungsaufnahme mit jeder Woche nach der Operation ein bisschen leichter würde, aber das ist nicht der Fall, im Gegenteil: Mir wird schon beim Gedanken an Essen schlecht.

Dabei denke ich dauernd ans Essen! Ihr dürft nicht vergessen, ich bin ja esssüchtig, und die Sucht ist noch da. Bei mir äußert sich das in ständigen Cravings, also dem unbändigen Verlangen nach bestimmten Speisen. Ein Steak mit Pommes! Ein Burger vom Mäci! (Ich gehe sonst nie zu McDonalds.) Eine riesige Salatschüssel! Schwarzbrot! Gefühlt kommt alle halben Stunden ein anderes Craving, natürlich alles nach Sachen, die ich unmöglich essen könnte, und dann wird mir schlecht. Ja, wirklich. Es war nicht übertrieben, dass mir beim Gedanken an Essen schlecht wird.

Dabei begänne jetzt, drei Wochen nach der Operation, langsam die Phase der Übergangskost. Ich dürfte zwar noch immer nicht alles essen, aber ich müsste mich nicht mehr auf breiig-weiche Kost beschränken. Ein Grahamweckerl mit etwas Butter und Schinken wäre durchaus drin. Okay, ein halbes. Ich träume davon, und gleichzeitig kann ich es mir überhaupt nicht vorstellen.

Wie versuche ich mich also über diese Zeit drüber zu retten? Während ich diese Zeilen schreibe, bearbeite ich seit zwei Stunden einen Becher Cottage Cheese. Auf einmal könnte mein Magen die Menge natürlich nicht verkraften, aber verteilt auf drei Portionen mit entsprechenden Pausen schaffe ich das und kann das Essen auch drin behalten. Voraussetzung ist natürlich, dass der Magen vorher wirklich leer ist, und das bedeutet auch, dass ich eine halbe Stunde vorher nichts trinken darf. Wasser braucht schließlich auch Platz im Magen.

Wenn gar nichts Anderes mehr hilft, greife ich auf die Proteindrinks zurück, die ich vor der OP schon hatte. (Vergleichbare Produkte von anderen Anbietern.) Von denen wird mir zwar auch schlecht, wenn ich sie nicht klein genug dosiere, und auf die Dauer ist das keine Lösung. Ich soll ja irgendwann auch wieder richtig essen, und das will, so seltsam es klingt, gelernt werden. Aber sie sind grundsätzlich zur Vollernährung geeignet, das heißt, sie enthalten alle wichtigen Nährstoffe, vor allem auch viel Eiweiß, und auch genügend Kalorien.

Ihr findet es vielleicht schwer vorstellbar, dass ich mir jetzt Sorgen mache, überhaupt genug Kalorien zu mir zu nehmen – Hallo? Wolltest du nicht abnehmen? –, aber es gab in den letzten Wochen Tage, da bin ich nicht über 300 Kalorien hinaus gekommen, und das ist einfach zu wenig. Ich bin dann nicht nur schwach und wackelig auf den Beinen, ich spüre auch, wie der Körper Schwierigkeiten hat, die nötige Betriebstemperatur aufrecht zu erhalten. Damit meine ich nicht, dass die Kerntemperatur absinkt, aber ich spüre, wie Finger und Zehen schlecht durchblutet sind.

Mein Blutzucker ist nicht auffällig niedrig. Das ist einerseits gut, ich bin nicht akut beeinträchtigt oder gefährdet. Andererseits ist der Körper sehr gut darin, den Zuckerspiegel stabil zu halten und wandelt sich zur Not selbst in Zucker um, und zwar nicht nur das reichlich vorhandene Fett, sondern auch die Muskulatur, und diese Aussicht gefällt mir weniger. Meine Muskeln sind überhaupt recht unglücklich damit, wie ich sie behandle, vor allem, wenn ich sie auch noch benutzen will. Ich soll möglichst viel spazieren gehen, und das tut mir auch gut. „Möglichst viel“ bedeutet in dem Zusammenhang etwa zwei Runden im nahen Park, mit einer ausgiebigen Pause dazwischen. Das traue ich mich aktuell nur in Begleitung. Nicht, weil ich glaube, dass ich gleich zusammen breche, aber Muskeln, die ich verwende, neigen dazu, sich immer wieder kurz zu verkrampfen; nicht arg schmerzhaft, aber doch immer wieder für ein paar Sekunden, als wollten sie mir sagen, he, du willst, dass wir für dich arbeiten, aber du lässt uns hungern, so geht das nicht!

Ich wusste natürlich vor der OP, dass es nicht leicht wird, und das sage ich mir jetzt auch immer wieder. Jetzt ist eben diese Phase, die schwierig und mühsam ist, die sich auch zieht wie ein Kaugummi. Es gibt schon positive Erlebnisse: Die Werte auf der Waage sind sehr zufriedenstellend, und ich habe schon Kleidung hervor gekramt, die ich zuletzt etwa 2012 anhatte. Diese Erfolge sind aber, und das darf mich nicht überraschen, hart erkämpft, jeden Tag.

Wie geht es jetzt weiter? Ich habe keine Ahnung, wie lang diese Phase dauert, und wann es spürbar besser wird. Eigentlich wollte ich spätestens nächste Woche wieder arbeiten gehen, und in einer Woche kann viel passieren, aber nach heutigem Stand kann ich mir noch nicht vorstellen, wie ich eine 40-Stunden-Woche schaffen soll. Natürlich steht im Vordergrund, dass ich mich erst stabilisieren muss. Auch die Firma hat nichts davon, wenn ich zwar die verlangte Zeit im Büro sitze, dort aber eigentlich nichts Produktives leisten kann. Erst recht nicht, wenn ich diesen Zustand durch zu viel Ehrgeiz unnötig verlängere. Zum Glück arbeite ich in einem Umfeld, das das ähnlich sieht und mich unterstützt.

A propos Unterstützung: Ich würde das alles viel schwerer durchhalten, wenn ich nicht Familie und Freund_innen hätten, die in dieser Zeit großartig für mich da sind. Ich bekomme zwar nicht mehr täglich Besuch, aber doch immer wieder, und wenn ich um Hilfe bitte, ist immer jemand da. Ihr seid großartig, und ich weiß das sehr zu schätzen.

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