#LobauBleibtSindWirAlle

Jetzt ist sie also weg, die Wüste. Stattdessen zieht sich durch die Donaustadt eine Spur der Verwüstung. Gleichzeitig mit der Räumung der Baustelle wurden heute im Auftrag der Stadt Wien rund 400 Bäume gefällt. War es das?

Die letzten Minuten der Pyramide
Die letzten Minuten der Pyramide

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten bei den Protesten gegen die Stadtautobahn in der Donaustadt für meine Verhältnisse ungewöhnlich ins Zeug gelegt. Physische Teilnahme an Aktionen fällt mir ja alles Andere als leicht. Mein Körper ist für sowas eigentlich ungeeignet.

Trotzdem, hier mache ich mit. Ich war schon Ende August bei der ersten Demo zur Eröffnung des Protestcamps dabei. So lang das Wetter warm war, bin ich regelmäßig hinaus geradelt, habe Material gebracht, mit den Leuten geredet, mitgearbeitet. Nach dem Brandanschlag, der mir sehr nahe gegangen ist, habe ich so oft wie möglich Nachtwache gehalten, damit die Aktivisti, die den ganzen Tag da sind, wenigstens zum Schlafen kommen. Ich habe an Plenen teilgenommen, Leute vernetzt, Informationen weitergegeben und geholfen, wo ich konnte.

Warum?

Die Frage ist legitim. Bei meiner Krankengeschichte ist meine Lebenserwartung nicht rasend hoch, ich muss nicht damit rechnen, die schlimmsten Auswirkungen der Erderhitzung noch zu erleben. Für mich selbst mache ich das also nicht. Ich habe auch keine Kinder, für die ich mich engagieren könnte. Warum ist es mir also trotzdem nicht egal? Es wäre doch viel bequemer.

Ja, warum eigentlich?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Leute, die dieses Projekt verfolgen, auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Derzeit geht die Bruchlinie nicht zwischen Warnenden und Leugnenden der Klimakrise. Der wesentliche Konflikt ist vielmehr der zwischen denen, die die Krise ernst nehmen und das Ruder wirklich noch herum reißen wollen, und denen, die glauben, wir werden uns da schon irgendwie heraus winden können, wird schon alles nicht so schlimm werden. Sehr österreichisch eigentlich, nur dass dieses Mindset auf der ganzen Welt sehr viele Anhänger*innen hat.

Die Wiener Stadtregierung ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Denkweise. In der offiziellen Kommunikation sagen sie oft das Richtige, sie wissen genau, was eigentlich getan werden müsste. Und dann gehen sie her und tun genau das Gegenteil. Wie diesen Straßenbau.

Leider geht es um sehr viel. Vielleicht nicht um den Fortbestand der Spezies Homo Sapiens („Wir werden schon nicht aussterben“, wie es Wolfgang Sobotka einmal treffend formuliert hat), aber der Zusammenbruch der weltumspannenden menschlichen Zivilisation, das Ende der Geschichte, wie wir sie kennen, ein Rückfall in eine Zeit ohne Schrift, ohne Technik, etwa auf den Zivilisationsstand des frühen Mittelalters, ist durchaus realistisch. Wenn wir nichts oder zu wenig dagegen tun, sogar wahrscheinlich. Dafür will ich nicht mitverantwortlich sein.

Deswegen wird auch der Kampf sicher weiter gehen. Auch wenn es heute nicht so aussieht, wir sind mit einem Rückzugsgefecht konfrontiert, und die, die es führen, wissen das auch. In den letzten Monaten sind Proteststrukturen und eine -kultur entstanden. Menschen haben sich gefunden und vernetzt. Das geht nicht mehr weg, weil auch das Thema nicht mehr weg geht. Lobau Bleibt sind wir alle, und wir sind überall. Stellt euch besser darauf ein.

Die Klimabewegung und die Grünen

Lena Schilling vom Jugendrat, eines der Gesichter der Klimabewegung in Österreich, hat sich in diesem Video sehr kritisch über die Grünen geäußert.

Die Aussagen brauchen eine Einordnung. Ich teile die moralische Wertung nicht, aber die dahinter liegende Frage ist legitim: Welche Rolle spielt eine politische Partei im Rahmen der Klimabewegung, und können die Grünen diese Rolle spielen?

Zwischen der Parteispitze und der Basis, wer immer das ist, vermutet Schilling eine Diskrepanz. Ich nehme aus der Innensicht eine solche nicht wahr. Wenn ich mir nicht nur die Umfragen, sondern auch die letzten Wahlergebnisse anschaue, halte ich auch die Diskrepanz zwischen der Partei und ihrer Wähler_innenschaft für weitgehend konstruiert.

Was ich tatsächlich wahrnehme, ist vielmehr einerseits die Erkenntnis, dass wir uns in der Politik nicht im luftleeren Raum bewegen und ein Regierungsamt nicht automatisch bedeutet, dass der eigene Wille eins zu eins das ist, was umgesetzt wird, und andererseits ein stark vereinfachtes Politikverständnis, das diesem Umstand nicht wahrhaben möchte.

Baumpflanzung am 11. September im Camp Wüste am Hausfeld
Baumpflanzung am 11. September im Camp Wüste am Hausfeld

Damit beziehe ich mich erst einmal gar nicht so sehr auf die Tatsache, dass wir natürlich immer mit Partnerinnen regieren, deren politischer Wille dem unseren in dieser Frage diametral entgegen steht. Die Frage, ob hier mit der SPÖ oder der ÖVP mehr zu bewegen ist, wäre übrigens einen eigenen Beitrag wert.

Nein, es gibt vielmehr noch einen anderen, in diesem Zusammenhang ganz wesentlichen Unterschied: Den zwischen dem politischen Willen und dem rechtsstaatlichen Verfahren, das eine Behörde abwickelt.

Regierungspartei seit 2010

Ja, die Grünen waren zehn Jahre in der Stadtregierung, und alles, was wir in der Zeit erreicht haben, war, dass das Projekt verzögert wurden. Wie lang verzögert? 2009 ging die ASFINAG noch von einem Baustart 2011 aus. Ohne Grüne in der Stadtregierung wären heute schon Autos in der Lobau und der „Betonaustadt“ unterwegs. Das ist der politische Wille. Die SPÖ musste das zähneknirschend akzeptieren. So funktionieren Koalitionen. Oft auch in unserem Sinne. Es ist kein Zufall, dass der Bau wenige Monate nach dem Ende von Rotgrün in Wien begonnen wurde.

Politik und Recht

Was nicht geht: Dass ein Regierungsmitglied – Leonore Gewessler auf Bundesebene ebenso wenig wie Maria Vassilakou oder Birgit Hebein – einfach in ein laufendes Verfahren eingreift. Das Ressort agiert hier als Behörde. Ein solcher Eingriff wäre Amtsmissbrauch; eine entsprechende Weisung hätte keinen Bestand. Vorschläge können hier nur im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten kommen. Daran haben sich die Grünen Regierungsmitglieder selbstverständlich immer gehalten und werden es auch weiterhin tun.

Landstraßer Grüne im Protestcamp Anfanggasse
Landstraßer Grüne im Protestcamp Anfanggasse

Ein anderer Hebel wäre das Geld. Die Stadt hat hier tatsächlich mehr Einfluss als der Bund, weil sie das Projekt direkt finanziert, während für den Bund die ASFINAG im Spiel ist, die – wie der Name schon sagt – als Aktiengesellschaft organisiert ist. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist weisungsfrei und kann auch nicht so einfach abgelöst werden, zumal er sich im Rahmen der geltenden Gesetze, vor allem des Bundesstraßengesetzes, bewegt. In diesem Gesetz sind die hochrangigen Straßen der Republik einzeln angeführt, auch eine Straße vom Knoten Schwechat über den Knoten Raasdorf bis Süßenbrunn findet sich darin. Das heißt nicht automatisch, dass alle Straßen, die dort aufgeführt sind, gebaut werden. Das hängt von vielen Faktoren ab, dafür gibt es eben ein Verfahren. Wenn dieses einmal läuft, hat die Behörde es ordentlich zu führen, so lange das Gesetz nicht geändert wird.

Bewegung und Partei

Mit friedlichen Revolutionen ist das immer so eine Sache. Wir haben in der jüngeren europäischen Geschichte einige Regimewechsel erlebt, auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Ihnen allen war gemein, dass die Menschen in einer Diktatur gelebt haben, die sie unmittelbar fühlen konnten. Die Proteste waren immer von sehr großen Teilen der Bevölkerung getragen, der Wechsel zur Demokratie von einer überwältigenden Mehrheit unterstützt. Wir leben in keiner Diktatur, und ich sehe auch diese Unterstützung nicht, ganz im Gegenteil. Warum Schilling jetzt den Grünen den Umstand in die Schuhe schiebt, dass immer weniger Leute auf die Klimastreiks kommen, ist für mich gar nicht nachvollziehbar. Egal ob 5000, 10.000 oder 20.000 Leute in Österreich auf die Straße gehen, gemessen an der Größe des Problems ist das ein winziges Grüppchen. Warum arbeiten wir nicht gemeinsam an der Mobilisierung? Wir Grünen leisten hier unseren Teil, obwohl uns das gar nicht leicht gemacht wird. Wir sollen so unsichtbar wie möglich sein und müssen uns gleichzeitig fragen lassen, warum wir nicht präsenter sind. Wir unterstützen unter diesen Umständen, wo wir können, personell wie finanziell, wir mobilisieren und vor allem verhandeln wir im Parlament, in der Bundesregierung, in der EU und in den Ländern.

Das ist auch die Rolle einer politischen Partei im Rahmen dieser Bewegung. „Erstmals sitzt der Klimaschutz mit am Verhandlungstisch„, und dass dem so ist, hat eine große Bedeutung, insbesondere auf Europäischer Ebene. Sind wir damit politisch schon dort, wo wir hin müssen? Mitnichten, natürlich nicht. Dennoch: Was wir erreicht haben, ist eine echte Trendwende. Der Druck von der Straße ist hier sehr, sehr wichtig. Aber die Entscheidungen fallen nicht dort, und dort, wo sie fallen, müssen wir ebenfalls präsent sein und den Ball heim spielen. Wenn wir dabei erfolgreich sein wollen, müssen wir hier an einem Strang ziehen.

Landstraßer Grüne heute im Camp Wüste
Landstraßer Grüne heute im Camp Wüste
Und eine neue Partei?

Aber reicht das? Brauchen wir eine neue Partei, die das schafft, was die Grünen nicht leisten? Ich bin hier sehr skeptisch, dass uns das weiterbringt.

Nicht, dass es in der zweiten Republik keine Versuche gegeben hätte, neue Parteien zu etablieren. Einige davon haben es auch ins Parlament geschafft, manche sogar ein zweites Mal, aber dann war das Projekt auch wieder zu Ende. Stabile Strukturen konnten nur die Grünen und die NEOS (im zweiten Anlauf nach dem LiF in den 90ern) aufbauen.

Die 68er, die Generation meiner Eltern, mussten lernen, dass Politik ein Spiel ist, das Regeln folgt, formellen (Verfassung und Gesetze) und informellen; Strategie und Taktik, die Suche nach Verbündeten, Überzeugung und Durchsetzung. Gemeinsam mit der Friedensbewegung und der Umweltbewegung der 1970er und 1980er traten sie den „Marsch durch den Institutionen“ an, bemühten sich um Ämter, zogen in die Parlamente ein, wo sie eine beeindruckende disruptive Kraft entfalteten. Die Grünen sind das Ergebnis dieser jahrzehntelangen Entwicklung. Eine neue Partei müsste wieder denselben Weg gehen, das Spiel lernen, sich etablieren, nur um sich dann in genau der selben Situation zu finden. In Deutschland gibt es bereits eine Klimaliste, und bisher bewegt sie sich genau auf diesem Pfad. Können wir wirklich darauf warten? Was hätten wir dann erreicht? Viele verschwendete Jahre, die wir nicht haben. Warum also auf eine Partei hintreten, die mehr als gewillt ist, der politische Arm der Klimabewegung zu sein, den Klimaschutz an den Verhandlungstisch zu tragen, wie wir das ja selbstverständlich seit bald zwei Jahren tun?