Rückzugsgefechte

Die Stadt Wien eskaliert ihren Kampf gegen die Klimabewegung – so muss man das mittlerweile nennen – und schickt irgendwelchen Aktivist*innen, darunter auch solchen, die verbürgt überhaupt noch nie auf einer der Baustellen waren, eine Klagsdrohung. Eine konkrete Höhe nennen sie nicht, es stehen Millionenbeträge im Raum. Wir kennen noch gar nicht den ganzen Adressat*innenkreis und auch die Anzahl können wir nur schätzen, weil einfach Krethi und Plethi eine Beteiligung unterstellt wird.

Souveräner Umgang mit engagierten jungen Leuten sieht anders aus. Statt mit ihnen zu reden, schickt der Bürgermeister Beamte ohne Entscheidungsmacht vor und jammert dann, dass diese Scheingespräche ebenso im Nirwana enden wie seine Autobahn ins Nichts. Und jetzt dieser, wie wir in der Branche sagen, absolute dick move. Michael Ludwig und seine Getreuen wissen natürlich, dass sie ein Rückzugsgefecht führen, dass die Stadt in wenigen Jahrzehnten ganz anders aussehen wird – aussehen muss! – als sie sich das wünschen.

Und selbstverständlich wissen die politisch Verantwortlichen auch, dass in einer Demokratie derartige Drohungen absolut inakzeptabel sind. Einen Prozess, in dem jungen Leuten für den Rest ihres Lebens die Existenz zerstört wird, können sie politisch nicht durchstehen. Auch das wissen sie. Es ist Zeit, dass wir die Eskalationsspirale stoppen und eine vernünftige, zukunftstaugliche Lösung finden.

Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben

Diesen Satz von DDR-Gründer Walter Ulbricht aus dem Mai 1945 hatte ich in den letzten Wochen nicht nur einmal im Ohr. Mittelfristig müssen wir nämlich auch über die demokratischen Strukturen in der Stadt Wien sprechen. Das beginnt damit, dass die Stadtverfassung mit einfacher Mehrheit geändert werden kann, aber es gibt hier viele große Baustellen.

Bezirksvorsteher*innen zum Beispiel brauchen für ihre Wahl keine Mehrheit in der Bezirksvertretung. Vielmehr steht der relativen Mehrheitspartei ein Vorschlagsrecht zu. Für die Wahl reicht bereits mehr als die Hälfte der Stimmen dieser Partei. Das ist umso problematischer, als der Bezirksvorsteher*in weitreichende Rechte eingeräumt werden. Im Gegensatz dazu hat die Bezirksvertretung eigentlich kaum etwas mitzureden, sie kann im Wesentlichen – mit kleinen Ausnahmen – nur Wünsche äußern, die aber weder für die Bezirksvorstehung noch für die Verwaltung der Stadt bindend sind. Planungs- und Bauaufträge kommen hingegen von der Bezirksvorstehung.

Da passt es ins Bild, dass die Untersuchungsrechte im Gemeinderat nach wie vor sehr schwach ausgeprägt sind. Untersuchungskommissionen können jetzt immerhin von 25 Abgeordneten verlangt werden, und auch Zeug*innenladungen brauchen dort keine Mehrheit mehr. Das ist ein Fortschritt. Auch der 2014 eingerichtete Stadtrechnungshof hat weitergehende Kontrollrechte als das davor bestehende Kontrollamt. Das Problem sind Strukturen, die viele Aufgaben der Stadt entweder an ausgegliederte Unternehmen auslagern oder überhaupt als Aufträge an oft SPÖ-nahe Firmen oder Vereine vergeben. Im Zusammenspiel mit der ausufernden Inseratenpolitik entsteht so ein Filz, der von außen kaum einsehbar und auch von innen extrem schwer aufzudröseln ist. Demokratische Strukturen werden so ausgehebelt.

Was ist also zu tun? So lange die SPÖ in Wien regiert, und das wird auf absehbare Zeit so bleiben, hilft nur politischer Druck, um selbst kleine Schritte zu erzwingen. Die Grünen haben in den Koalitionsverhandlungen 2010 den Stadtrechnungshof und 2015 eine Reduktion des Inseratenbudgets um immerhin fast ein Drittel durchgesetzt. 2020 einigten sich die drei Parteien SPÖ, Grüne und NEOS auf eine Reform der Untersuchungskommissionen. Am wichtigsten ist aber, dass die Bewohner*innen der Stadt wachsam sind, sich organisieren und, ja, wo es nötig ist, auch aktiven Widerstand leisten.

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