Agile Prozesse wurden in Unternehmen entworfen, und das bedeutet, dass wir sie in anderen Kontexten nicht so ohne weiteres einsetzen können. Wir müssen ein bisschen über Strukturen, Prozesse und Begrifflichkeiten nachdenken. In meiner Arbeit geht es darum, wie das funktionieren kann.
Auch so ein Pet Peeve von mir: Wer ist unsere Kundin, unser Kunde? Für wen arbeiten wir überhaupt? Ich hatte einmal einen Chef, für den hat es gereicht, wenn der Auftraggeber zufrieden war. Der hat uns schließlich gesagt, was er sich vorstellt, und von ihm haben wir auch unser Geld bekommen. Case closed. Kontakt mit den Nutzerinnen, Eingehen auf deren Bedürfnisse: Fehlanzeige, und auch gar nicht erwünscht. Die Folge war natürlich ein Produkt, das an den Bedürfnissen der Nutzer*innen vorbei ging. Wie hätte es auch anders sein können, wenn wir diese Bedürfnisse gar nicht kannten und auch nicht kennen wollten?
In der Politik stellen sich allerdings noch einige weitere Fragen. Wir haben keine Kund*innen, die Kaufentscheidungen treffen. Ja, es gibt einen Wettbewerb um Wähler*innenstimmen, aber der folgt anderen Regeln. Wir kämpfen hier um einen Kuchen, den wir nicht erweitern können. Wahlauseinandersetzungen sind Nullsummenspiele, jedem Gewinn steht immer ein Verlust in gleicher Höhe gegenüber, die Summe ist konstant 100%.
Parteien betreiben natürlich Markt- (eigentlich Meinungs-)forschung und wissen genau, wie groß ihr Potential (die Leute, die die Partei grundsätzlich für ihre Wahlentscheidung in Erwägung ziehen) und ihr erweitertes Potential (Leute, die für die Partei im weitesten Sinne ansprechbar werden könnten) ist. Es liegt daher nahe, diese Gruppe als Kund*innen zu betrachten und das politische Handeln an ihnen auszurichten. Bei der FPÖ sehen wir, dass ihr das ausgezeichnet gelingt. Die Partei kann daher bei Wahlen immer wieder ihr Potential praktisch zur Gänze ausschöpfen, um den Preis, dass sie für den Rest der Bevölkerung überhaupt nicht anschlussfähig ist, sofern sie ihn nicht von vornherein aktiv ausschließt.
Eine wesentliche Zielgruppe in der Kommunikation sind selbstverständlich auch die eigenen Mitglieder und Funktionär*innen. Gerade die bundespolitische Ebene steht ja nicht oft in direktem Kontakt mit diesen, und je größer die Partei ist, desto schwieriger ist das. Die SPÖ führt uns dieses Problem dieser Tage deutlich vor Augen. Rund um die Vorsitzwahl richten sich Abgeordnete und hohe Funktionäre in den Medien deutlich erkennbar an ihrer eigene Gefolgschaft, weil das die direkteste Möglichkeit ist, die ihnen zur Verfügung steht. Damit vergeben sie natürlich wertvolle Reichweite, die sie stattdessen für die Kommunikation mit der Bevölkerung verwenden könnten, wo es mitunter andere Botschaften bräuchte. In dieser Situation lässt sich das allerdings wohl kaum vermeiden.
Dabei ist all das das für die Lösungen, die wir in unserem Design Thinking Prozess ausarbeiten wollen, gar nicht so relevant. Ziel politischen Handelns ist (jedenfalls aus meiner Sicht) nicht die bloße Stimmenmaximierung, sondern das Umsetzen von Ideen, die Gestaltung der Welt, in der wir leben.
Wollen wir einen Prozess wie Design Thinking einsetzen, müssen wir uns also überlegen, für wen wir arbeiten. Wer nutzt unsere Lösungen? Wer ist davon betroffen? Von wem haben wir vielleicht auch Widerstände zu erwarten, und wie können wir denen begegnen?
Es ist wichtig, dass wir hier nicht nur in Marketingkategorien denken. Die besten Lösungen sind so gestaltet, dass sie besonders vielen Leuten nutzen und denen, die nicht dahinter stehen können, möglichst nicht aktiv schaden.
Zum Glück haben wir im Rahmen des Prozesses eine Reihe von Werkzeugen zur Verfügung, die uns dabei helfen, unsere Kund*innen zu identifizieren. In den divergenten Phasen gehen wir hinaus in den öffentlichen Raum und reden mit Leuten. So kommen wir mit Menschen in Kontakt, die wir über die Werbung nicht ansprechen würden, und hören auch deren Geschichte. Alleine dadurch werden unsere Lösungen anders aussehen als solche, die wir im stillen Kämmerlein ausarbeiten.
Im Lauf des Prozesses werden wir uns dabei nicht an Einzelpersonen orientieren können. Da hilft es, die verschiedenen Zielgruppen ein wenig systematisch darzustellen und zum Beispiel mit Personas zu visualisieren.
So bekommen wir im Lauf der Zeit eine immer klarerer Vorstellung, nicht nur von unserem „Produkt“, sondern auch von der „Zielgruppe“, also von den Menschen, für die wir arbeiten. Natürlich orientiert sich unsere Arbeit als Partei nicht nur daran, was die Menschen wollen. Wir operieren auf der Grundlage definierter Werte und wollen auch dafür werben, den Menschen Visionen einer besseren Zukunft zu vermitteln, die sie sich aktuell vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Wir sehen also: Der Kund*innenbegriff ist nicht der einzige, in dem sich politsche Arbeit von der eines Unternehmens unterscheidet. Wir müssen auch über unser „Produkt“ und den „Wert“ (nie ganz zu trennen von und dennoch nicht dasselbe wie „Werte“), den wir damit schaffen wollen, nachdenken. Mehr dazu im nächsten Beitrag.