Erinnert ihr euch an die zwei jungen Lesben, die neulich in London attackiert wurden? Eine von denen hat mich gestern Abend am Stand im Pride Village besucht. Sie ist die Freundin eines Freundes, die Welt ist eben ein Dorf. Andy hatte sich am Vorabend bei mir gemeldet, er komme auf die Europride, aber ich hatte keine Ahnung, in wessen Begleitung.
Melania ist auf Einladung der Europride in Wien. Es geht ihr soweit gut, aber sie hat große Schwierigkeiten damit, dass sie plötzlich aus dem Alltag herausgerissen als Symbol für etwas von Termin zu Termin weitergereicht wird. Sie ist ja an sich niemand Besonderer oder versteht sich zumindest nicht so. Held_innentum ist eben oft auch eine Sache der Umstände.
Habt ihr die Geschichte mitbekommen? Zwei junge Frauen wurden am Heimweg von einem Date von einer Gruppe von Männern bedrängt, sie sollten einander küssen und quasi eine private Peepshow in aller Öffentlichkeit veranstalten. Als sie sich weigerten – und diese Weigerung macht sie für mich zu Heldinnen – wurden sie blutig geschlagen.
Was hat dieser Einzelfall irgendwo am Rande des Kontinents, abgesehen vom Zufall einer persönlichen Verbindung, mit uns hier in Wien zu tun?
Dieses Jahr wurde die Pride ja besonders für das Ausmaß der Kommerzialisierung kritisiert, und nicht zu unrecht. Die Beteiligung von (großen) Unternehmen hat auch dieses Jahr wieder einen neuen Rekordwert erreicht. Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass das Engagement für LGBT+-Anliegen in den anderen 51 Wochen des Jahres eher brach liegt. Nicht überall, aber grundsätzlich.
Als politische Partei wollen die Grünen, in diesem Kontext vertreten durch die Grünen Andersrum, dem natürlich etwas entgegen setzen. Unser Beitrag befasste sich mit dem Aufstand in der Christopher Street in New York, der jetzt 50 Jahre zurück liegt und den Beginn dessen markiert, was später Gay Liberation genannt wurde. Die Regenbogenparade stellt sich explizit in diese Tradition, auch wenn sich das Selbstverständnis der Community seither deutlich weiter entwickelt hat.
Wir hatten eine Wand mit Bildern aus den frühen 70er Jahren ausgestellt, und dazu Demoschilder mit den originalen Slogans der ersten Pride Parade 1970 gebastelt. Trotz ansehnlicher politischer Erfolge seit damals sind viele der damaligen Slogans heute noch (oder wieder) unverändert aktuell, besonders dieser: „Stop attacking lesbians and gays“. Um das zu illustrieren, hatten wir auch das Bild von Melania und ihrer Freundin an unserer Wand.
Ebensowenig wie die beiden wundern wir uns darüber, dass das 2019 noch passieren kann. Wir wissen es. Auch in Wien kommt es immer wieder zu LGBT+-feindlicher Gewalt. Ja, Gewalt. Es ist noch nicht so lange her, das waren Freunde von uns mit einer Regenbogenflagge bei einer Veranstaltung am Wiener Rathausplatz, und ihnen wurde die Flagge angezündet. (Nichts passiert, Flaggen müssen in der EU aus brandhemmendem Material sein, aber ich bin doch ziemlich sicher, dass der Angreifer das nicht berücksichtigt hat.)
Von den kleinen Dingen rede ich da noch gar nicht, im Vorbeifahren aus dem Auto zugerufenen Beschimpfungen etwa (Wie feig kann man eigentlich sein?), oder dass uns jemand anspuckt. Die sind für viele von uns Alltag, vor allem, wenn wir offensichtlich nicht in die Cis-Hetero-Normen passen. Wenn unser Aussehen, unser Verhalten als, je nachdem, lesbisch, schwul, butch, femme, trans, wie auch immer gelesen wird.
Ich selber bin ja eigentlich gar nicht betroffen. Mir sagen Leute Dinge wie: „Du schaust so unschwul aus“, und meinen das als Kompliment. Ich bin nicht überall geoutet und finde das permanente Coming Out anstrengend und wenig hilfreich. Es ist ja auch nicht so, als wäre ich dazu gezwungen. Ich kann die tägliche kleine Dosis Alltagshomophobie schlucken und muss sie nicht auf mich beziehen. Ich habe keinen Partner, mit dem ich mich in der Öffentlichkeit zeigen muss oder kann. Das wird sich in diesem Leben wohl auch nicht mehr ändern. Für mich ist es schon zu spät. Ich habe das feindliche Milieu meiner Jugend so stark verinnerlicht, dass ich da nicht mehr heraus finde. Auch eine lebenslange Therapie kann das nicht ungeschehen machen.
Aber wenn ich sehe, wie frei und unbeschwert sich unsere jungen Leute bewegen können, lohnt es sich, dafür zu arbeiten, dass das auch so bleibt. Selbstverständlich ist das nämlich ganz und gar nicht. Nicht nur in vielen anderen Teilen der Welt, auch bei uns müssen wir alles Erreichte verteidigen gegen die, die es uns wieder wegnehmen wollen. Auch politisch.
Je weiter wir von einem „Norm-Erscheinungsbild“ weg sind, desto verwundbarer sind wir natürlich. Aktuell sind Transpersonen besonders betroffen, ebenso wie mehrfachdiskriminierte Menschen, Frauen, People of Colour, Körperbehinderte und chronisch Kranke (da falle ich dann doch wieder darunter). Ein trans Freund von mir hat sich kürzlich völlig aus der Politik zurückgezogen mit der Begründung, er hat jetzt ein Passing erreicht, das ihm erlaubt, ein „normales“ Leben zu führen, und das will er erst einmal genießen. So gut ich das verstehen kann, so sehr hat mir das auch gezeigt, wie sehr er meine Solidarität braucht, öffentlich Stellung zu nehmen, wo er das im Moment nicht kann.
Deswegen geht das auch gar nicht, dass Teile der Community noch schwächere Teile ausschließen, abwerten und teilweise sogar direkt bekämpfen. Wie immer kann die Antwort nur mehr Solidarität sein, nicht das Sich Distanzieren von denen, die noch weiter unten stehen. Es tut gut, zu sehen, wie viel es davon in Wien gibt. Eine offen lesbische Ministerin hätte ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen können; ebensowenig einen Bundespräsidenten, der sich an die Teilnehmer der Regenbogenparade wendet und uns seine Unterstützung zusichert. Eine Party kann eben auch ein politischer Akt sein.