Abschied nehmen

Edwin Austin Abbey: Cordelia's Farewell
Edwin Austin Abbey: Cordelia’s Farewell cc-by-sa

Liebe Leute,

es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Abschied vom Gewohnten, von der Welt, wie wir sie kennen. 2050 wird die Welt eine ganz andere sein als 2020, und könnten wir ins Jahr 2070 reisen, würden wir sie wohl kaum wiedererkennen.

Wir wissen nicht, wie die Welt in 30 oder 50 Jahren aussehen wird, aber das wissen wir: Es ändert sich alles, auf die eine oder andere Weise.

An allen Ecken und Enden sind wir mit Menschen und Institutionen konfrontiert, die das nicht wahrhaben wollen. Die Stadt Wien baut weiter neue Autobahnen. Die Industrie, nein, die Industriellenvereinigung, steht bei Klimazielen auf der Bremse oder will das wenige Erreichte gar rückgängig machen. In der Landwirtschaft sollen, geht es nach dem Bauernbund, die kleinen Flächen, auf denen sich ein Rest Artenvielfalt erhalten darf, auch noch den Monokulturen weichen. Und so weiter.

Langsam dämmert es aber. Zu langsam, aber immerhin, die Leute beginnen zu verstehen. Also können wir jetzt endlich das Nötige unternehmen, um die weltumspannende Zivilisation, in der wir leben, langfristig zu sichern, indem wir sie nachhaltig umbauen?

Nicht so schnell. Wenn wir Menschen mit einer einschneidenden Veränderung konfrontiert sind, gehen wir durch mehrere Phasen, bis wir in der Lage sind, sie auch anzunehmen. Elisabeth Kübler-Ross hat diese zum ersten Mal in ihrer Arbeit mit Sterbenden beschrieben und daher Trauerphasen genannt, was nur naheliegend ist. Es gibt keine radikalere Veränderung als das Ende des Lebens, jedenfalls nicht für uns als Individuen.

Für uns als Spezies, und das ist für die_den Einzelne*n ebenfalls schwer anzunehmen, geht der aktuelle, durch die Erderhitzung ausgelöste Umbruch allerdings noch viel tiefer. Es überrascht also nicht, dass die Meisten von uns noch in der ersten Phase stecken, dem Leugnen. Wird schon nicht so schlimm werden. Wir werden schon nicht aussterben. Die Wissenschaft ist sich doch gar nicht einig, nur zu 97%. Und außerdem, was hat das alles mit mir zu tun? Mein Leben ist schon schwer genug, und jetzt wollen es mir diese Heisln noch schwerer machen!

Hoppla. Ohne es zu merken, sind wir in die nächste Phase gekippt, nämlich die Wut. Jetzt lehnen wir uns gegen alles auf, das uns den Kopf aus dem bequemen Sand reißt, das uns zwingt, die Augen zu öffnen und den Tatsachen ins Gesicht zu schauen. Radfahrer! Elendes Gsindl, was bilden die sich ein, den Platz auf *unseren* Straßen zu beanspruchen! Gleich einmal knapp schneiden, selber schuld, wenn die Angst kriegen, sollen sie halt auf der Donauinsel fahren. Und außerdem, diese Grünen! Ja, eh, eigentlich stimmt das, was sie sagen, aber WIE sie es sagen! Gendern soll ich, und wasweißich. Was denen einfällt! Und die Klimakinder! Sollen erst einmal was lernen, und dann was leisten, was glauben die überhaupt, dass sie an mich irgendwelche Forderungen stellen? Okay, sicher, die Welt ist in Schwierigkeiten, das sehen wir inzwischen, aber das kann *ich* doch nicht lösen, und es ist auch nicht meine Aufgabe. Also beginnen wir zu

Verhandeln. Aber die anderen. Aber was ist mit denen, die auf das Auto angewiesen sind? Aber sozial muss es sein. Aber die Industrie braucht das Gas. Begrünung schön und gut, aber die Parkplätze müssen erhalten bleiben. Aber, aber, aber. In meinem Wohnbezirk stellt die ÖVP jetzt gelegentlich Anträge zur Begrünung, die regelmäßig darauf hinaus laufen, dass die benötigte Fläche dem Radverkehr oder gelegentlich den Zu-Fuß-Gehenden weggenommen werden, jedoch niemals den Autos. Im Gegenteil, sie wollen die Zahl der Stellplätze – und damit die Zahl der Autos in der Stadt – noch erhöhen. Autofahren und Klimaschutz lasse sich, so die Argumentation, mit ein bisschen Hirnschmalz problemlos verbinden.

Alpenpanorama
Wird es dieses Alpenpanorama 2070 noch geben?

Ähnliche Argumente sehen wir anderswo: Wenn die Städte Norddeutschlands zu versinken drohen, brauchen wir eben höhere Deiche. Es brauche keinen Systemwechsel, sondern nur Innovation, trommelt vor allem die neoliberale Bubble. Mehr bewässern, effizientere Maschinen, abrakadabra, alles wieder gut. Wir greifen hier nach den letzten Strohhalmen, die den Status Quo erhalten sollen. Noch sind wir nicht bereit loszulassen. Irgendwann verstehen wir, dass das so nicht funktioniert, und dann stürzen wir in eine tiefe

Depression oder Verzweiflung. Es hat doch alles keinen Sinn. Wir können die Erderhitzung nicht mehr aufhalten, uns nur mehr anpassen. Oder wir geben zu, dass wir versagt haben, und machen uns ein paar schöne Jahre vor dem Untergang. Noch ein letztes Mal Urlaub auf Mauritius, bevor es untergeht. Noch einen letzten SUV kaufen. Mit 250 über die Autobahn brettern. Jetzt erst recht. Wenn schon in den Abgrund, dann wenigstens mit Pauken und Trompeten.

Diese Phase ist sehr wichtig, denn hier sehen wir erstmals ein, dass die Veränderung tatsächlich passieren wird, ob uns das gefällt oder nicht. Der Widerstand dagegen kostet unglaublich viel Energie. Insofern ist es erstaunlich, wie lange manche Menschen ihn aufrecht erhalten können. Irgendwann überwinden wir ihn aber doch und finden endlich zur

Akzeptanz. Erst in dieser Phase können wir die Veränderung steuern, und das ist von enormer Wichtigkeit. Wie die Welt 2070 konkret aussehen wird, ist nämlich noch keineswegs in Stein gemeißelt. Viele Chancen sind vertan, das ist wahr, aber wir haben es noch in der Hand, ob wir unsere Zivilisation erhalten. Umwälzungen und Fluchtbewegungen werden kommen, aber in welchem Ausmaß? Kriege um Wasser, Lebensmittelknappheit, das alles werden wir sehen, aber wie wird das verteilt sein? Niemand wird sich ganz heraus halten können, auch die Superreichen nicht, das sehen wir jetzt schon. Wenn ein lebenserhaltendes Medikament nicht mehr produziert wird, kann ich es irgendwann auch um alles Geld der Welt nicht mehr kaufen. Zäune halten arme Menschen draußen, aber nur, so lange die Verzweiflung nicht groß genug ist.

Technologie kann durchaus eine Rolle spielen, richtig gelenktes Hirnschmalz kann uns helfen, die Welt besser zu machen, sogar besser, als sie jetzt ist. Dazu müssen wir aber erst die alten Muster loslassen, die alte Welt ziehen lassen, uns darauf einigen, dass wir eine ganz neue Welt wollen.

Blick vom Rohrhaus im Lainzer Tiergarten in den Wienerwald
Wie wird der Wienerwald in 50 Jahren aussehen? So ziemlich sicher nicht. cc-by-sa

Die Zeit drängt. Wir müssen die Menschen, egal in welcher Phase sie stecken, mitnehmen, und zwar bald.

Menschen sind in jeder Phase anders zu erreichen. Nicht alle durchlaufen alle Phasen linear, aber im Kern geht es darum, den Schritt in die nächste Phase zu erleichtern. Die politische Grundbotschaft ist immer dieselbe: Es wird passieren. Egal, wie sehr wir den Kopf in den Sand stecken, wie sehr wir dagegen aufbegehren. Es wird passieren. Es passiert bereits. Das Klima verhandelt nicht, es reagiert auf die Bedingungen, die wir Menschen schaffen. Die Lage ist noch nicht hoffnungslos, aber die Hoffnung schwindet mit jedem Jahr, das wir ungenutzt verstreichen lassen.

Vor diesem Hintergrund wundert es mich nicht, das die Aktionen extremer werden. Die Gruppe “Aufstand der Letzten Generation” behauptet gar nicht, dass das so großartig ist, was sie machen, und man kann ihre Aktionen auch in vielerlei Hinsicht kritisieren. Sie meinen es vielmehr als lauten Weck- und Hilferuf. Als solchen sollten wir das verstehen, und wir sollten darauf hören. Wenn nicht, habe ich keinen Zweifel, dass sich bald eine noch extremere Gruppe bilden wird, die auch zu Gewalt greift, und zwar nicht nur gegen sich selbst. Nein, natürlich kann ich das nicht gutheißen. Aber ich fürchte, es ist die logische Folge einer Situation, die keine Deeskalation zulässt.

Was hilft, sind Visionen: Visionen einer besseren Welt, im Großen wie im Kleinen. Eine Veränderung, die nicht nur aus Risiko besteht, sondern vor allem aus Chancen, ist durchaus auch nicht leicht anzunehmen, aber immerhin ein Stück leichter.

Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, dass viele Bottom-Up-Ansätze nur auf einer ganz kleinen Skala funktionieren. Wir brauchen Lösungen, so lokal sie auch sein müssen, die sich auch hochskalieren lassen. Lösungen für die ganze Gesellschaft, nicht nur für ein paar wenige, die das Geld, die Zeit und die Energie dafür aufbringen können. Was hilft, ist auch die glaubwürdige Versicherung, dass wir keine*n zurücklassen werden. Wir haben die Werkzeuge. Wir haben die Ideen. Wir brauchen nur den Willen.

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