Innovation in der Politik

In meiner Arbeit geht es zuerst einmal um Innovationsprozesse, ganz allgemein in Organisationen und besonders in der Politik.

Es ist gar nicht so leicht festzumachen, was “Innovation” überhaupt ist. Manche verstehen darunter einen disruptiven Vorgang und setzen sie in Kontrast zu kontinuierlicher Verbesserung. So betrachtet wäre Innovation nicht immer erstrebenswert.

Andere sehen Innovation genau umgekehrt als dauernden Evolutionsprozess. So betrachtet geht es darum, neue Möglichkeiten zu eröffnen, diese in einer Gesellschaft zu verbreiten und ihren Effekt zu bewerten, um daraus wieder neue Möglichkeiten zu schöpfen.

Der deutsche Soziologe Gerhard Schulze skizziert in seinem Buch “Die beste aller Welten” eine Logik der Steigerung, die nicht kontinuierlich verläuft, sondern nach dem Muster Stop and Go. Steigerungssprünge wechseln sich mit Plateauphasen ab. Beide werden gebraucht. In den sprunghaften Phasen ist die Gesellschaft kreativ, sie eröffnet sich durch Neuerungen erweiterte Möglichkeitsräume. In den Plateauphasen werden diese Möglichkeiten bewertet, einige setzen sich durch, andere sind bald wieder Geschichte.

Der Politologe Jens Lanfer beschreibt in seiner Dissertation diesen Prozess konkret für politische Innovationen. Er stellt den möglichen Verlaufsformen Revolution und Reform als dritte Möglichkeit die Evolution, also die Abfolge von Mutation und natürlicher Auswahl, gegenüber. Aus den drei Evolutionsfunktionen Variation, Selektion und Restabilisierung leitet Lanfer drei Innovationsfunktionen ab, die er Neuerung, Verbreitung und Effektbewertung nennt. Alle drei sind in der Politik von großer Bedeutung.

Neuerung

Eine wesentliche Eigenschaft eines stabilen sozialen Systems ist ein Netz von Erwartungshaltungen, die das System in der Regel erfüllt. In der Gesellschaft bekommen wir diese Erwartungen (hoffentlich) als Kinder beigebracht. Sie bestimmen, was wir als angebracht oder unangebracht, als höflich, freundlich, gemein oder seltsam empfinden. In Unternehmen bestimmen sie unsere Rolle, und ob wir diese zur Zufriedenheit der Organisation ausfüllen. Im Staat sind viele Erwartungen normativ, in Form von Gesetzen festgelegt, Abweichungen werden bestraft.

Wollen wir innovativ sein, so müssen wir diese Erwartungshaltungen zuerst gründlich irritieren. Jede Neuerung ist per definitionem etwas, das nicht erwartet wurde, und führt daher zwangsläufig zu einer Irritation. Dabei müssen wir natürlich aufpassen, dass wir mit unserer Idee anschlussfähig bleiben. Verletzen wir die gesellschaftlichen Normen in einem Ausmaß, das als abzulehnende Zumutung empfunden wird, haben wir Sanktionen zu erwarten und werden uns nicht durchsetzen.

Verbreitung

Durchsetzung ist ein gutes Stichwort. Wir haben mit unserer Neuerung eine neue Möglichkeit geschaffen, aber es ist ganz und gar nicht sicher, dass sich diese durchsetzen kann und wird. Nicht jede Idee ist gut, aber auch gute Ideen können scheitern, wenn sie nicht die Unterstützung finden, die sie brauchen. Unser Ziel ist nun, in dem System, das wir verändern wollen – die Firma, die Stadt, die Gesellschaft – möglichst viel Resonanz herzustellen. Die Leute sollen wissen, wofür wir eintreten, und sollen sich uns anschließen. Wir befinden uns hier mitten im gesellschaftlichen Diskurs. Hier ist der Raum, in dem wir unsere Idee vorstellen, bewerben, diskutieren.

Effektbewertung

Ob wir mit der Verbreitung unserer Neuerung erfolgreich sind, hängt davon ab, wie unser System sie bewertet. Wenn wir mit unserer Neuerung anschlussfähig waren und nicht von vorn herein gescheitert sind, gibt es zwei kritische Punkte, an denen die Bewertung stattfindet: Proaktiv oder retroaktiv, je nachdem, ob unser Vorschlag schon umgesetzt wurde oder nicht. Die Bewertung kann dabei durchaus unterschiedlich ausfallen. Nichtraucherschutz in öffentlichen Gebäuden wurde zum Beispiel in Österreich proaktiv lang sehr negativ bewertet und konnte sich daher nicht durchsetzen. Retroaktiv, also nach seiner Einführung, hat sich die Bewertung dann jedoch rasch gedreht, und heute will kaum jemand dahin zurück, dass in Lokalen geraucht wird.

Alle drei Innovationsfunktionen sind in einem erfolgreichen Innovationsprozess präsent und müssen gründlich geplant werden. Dabei helfen Vorgehensmodelle und Methoden. Dazu mehr in einem späteren Beitrag.

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