Agil ohne Software – Geht das überhaupt?

Ich habe ja vor inzwischen über einem Jahr beschlossen, der IT vorerst den Rücken zu kehren. 25 Jahre Softwareentwicklung in verschiedenen Kapazitäten waren immer spannend und herausfordernd, vor allem, weil ich immer sehr an den Menschen und an den Methoden interessiert war, mit denen wir gute Produkte auf den Markt gebracht haben.

Letztes Jahr habe ich mit zwei Dingen gleichzeitig begonnen: Ich habe einen Abstecher in die Politik unternommen, und ich habe eine Ausbildung als Unternehmensberater begonnen. Es war klar, dass ich nicht längerfristig im Grünen Parlamentsklub bleiben werde. Die Möglichkeit, eines meiner Herzensthemen auf der ganz obersten Ebene mit zu betreiben, war ein Jugendtraum, den ich mir erfüllt habe. (Andere Leute kaufen sich, wenn sie 50 werden, vielleicht ein Motorrad oder ein schnelles Auto, aber das hat mich nie so gereizt.) Natürlich bin ich dem Klub sehr dankbar, dass sie mir diese Chance gegeben haben. Ich vermisse Euch!

Das ist jetzt aber zu Ende, und vor ein paar Wochen habe ich ein Gewerbe als IT-Consultant und Unternehmensberater angemeldet. Warum Unternehmensberatung? Continue reading „Agil ohne Software – Geht das überhaupt?“

Fünf Bücher

Einmal was ganz Persönliches:

Anlässlich der Wiedereröffnung bat die Parlamentsbibliothek die Klubobleute, ihr fünf Bücher zu nennen, die sie besonders geprägt haben.

Nikolaus Ganahl auf Twitter: "In der Bibliothek des wiedereröffneten Parlaments verraten uns die Klubobleute der Parlamentsfraktionen die jeweils 5 für sie prägendsten Büchern und was soll ich sagen:"
Die fünf prägendsten Bücher von August Wöginger

Ich nehme das zum Anlass, mir dieselbe Frage zu stellen, und ich muss zugeben, mir fiel die Auswahl nicht ganz leicht. Continue reading „Fünf Bücher“

Darf’s ein bisserl weniger sein?

Ich habe ja, wenn ihr euch erinnert, heuer im Juni einen Masterplan Gehen, wie ihn andere Bezirke schon haben oder ausarbeiten, auch für die Landstraße beantragt.(Die Bezirkszeitung hat berichtet.)

Gehsteig in der Linken Bahngasse.
Gehsteig in der Linken Bahngasse, an der schmalsten Stelle knapp über einen Meter breit

Der Antrag war eigentlich nicht meine Idee. Ich hatte ja schon im September 2021 unter dem Titel Raus aus dem Asphalt einen sehr grundlegenden Antrag zur Mobilitätswende im Bezirk gestellt. In ihrer Antwort schlug Stadträtin Sima vor, einen solchen Masterplan erstellen zu lassen. Continue reading „Darf’s ein bisserl weniger sein?“

Abschied nehmen

Edwin Austin Abbey: Cordelia's Farewell
Edwin Austin Abbey: Cordelia’s Farewell cc-by-sa

Liebe Leute,

es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Abschied vom Gewohnten, von der Welt, wie wir sie kennen. 2050 wird die Welt eine ganz andere sein als 2020, und könnten wir ins Jahr 2070 reisen, würden wir sie wohl kaum wiedererkennen.

Wir wissen nicht, wie die Welt in 30 oder 50 Jahren aussehen wird, aber das wissen wir: Es ändert sich alles, auf die eine oder andere Weise. Continue reading „Abschied nehmen“

#LobauBleibtSindWirAlle

Jetzt ist sie also weg, die Wüste. Stattdessen zieht sich durch die Donaustadt eine Spur der Verwüstung. Gleichzeitig mit der Räumung der Baustelle wurden heute im Auftrag der Stadt Wien rund 400 Bäume gefällt. War es das?

Die letzten Minuten der Pyramide
Die letzten Minuten der Pyramide

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten bei den Protesten gegen die Stadtautobahn in der Donaustadt für meine Verhältnisse ungewöhnlich ins Zeug gelegt. Physische Teilnahme an Aktionen fällt mir ja alles Andere als leicht. Mein Körper ist für sowas eigentlich ungeeignet.

Trotzdem, hier mache ich mit. Ich war schon Ende August bei der ersten Demo zur Eröffnung des Protestcamps dabei. So lang das Wetter warm war, bin ich regelmäßig hinaus geradelt, habe Material gebracht, mit den Leuten geredet, mitgearbeitet. Nach dem Brandanschlag, der mir sehr nahe gegangen ist, habe ich so oft wie möglich Nachtwache gehalten, damit die Aktivisti, die den ganzen Tag da sind, wenigstens zum Schlafen kommen. Ich habe an Plenen teilgenommen, Leute vernetzt, Informationen weitergegeben und geholfen, wo ich konnte.

Warum?

Die Frage ist legitim. Bei meiner Krankengeschichte ist meine Lebenserwartung nicht rasend hoch, ich muss nicht damit rechnen, die schlimmsten Auswirkungen der Erderhitzung noch zu erleben. Für mich selbst mache ich das also nicht. Ich habe auch keine Kinder, für die ich mich engagieren könnte. Warum ist es mir also trotzdem nicht egal? Es wäre doch viel bequemer.

Ja, warum eigentlich?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Leute, die dieses Projekt verfolgen, auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Derzeit geht die Bruchlinie nicht zwischen Warnenden und Leugnenden der Klimakrise. Der wesentliche Konflikt ist vielmehr der zwischen denen, die die Krise ernst nehmen und das Ruder wirklich noch herum reißen wollen, und denen, die glauben, wir werden uns da schon irgendwie heraus winden können, wird schon alles nicht so schlimm werden. Sehr österreichisch eigentlich, nur dass dieses Mindset auf der ganzen Welt sehr viele Anhänger*innen hat.

Die Wiener Stadtregierung ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Denkweise. In der offiziellen Kommunikation sagen sie oft das Richtige, sie wissen genau, was eigentlich getan werden müsste. Und dann gehen sie her und tun genau das Gegenteil. Wie diesen Straßenbau.

Leider geht es um sehr viel. Vielleicht nicht um den Fortbestand der Spezies Homo Sapiens („Wir werden schon nicht aussterben“, wie es Wolfgang Sobotka einmal treffend formuliert hat), aber der Zusammenbruch der weltumspannenden menschlichen Zivilisation, das Ende der Geschichte, wie wir sie kennen, ein Rückfall in eine Zeit ohne Schrift, ohne Technik, etwa auf den Zivilisationsstand des frühen Mittelalters, ist durchaus realistisch. Wenn wir nichts oder zu wenig dagegen tun, sogar wahrscheinlich. Dafür will ich nicht mitverantwortlich sein.

Deswegen wird auch der Kampf sicher weiter gehen. Auch wenn es heute nicht so aussieht, wir sind mit einem Rückzugsgefecht konfrontiert, und die, die es führen, wissen das auch. In den letzten Monaten sind Proteststrukturen und eine -kultur entstanden. Menschen haben sich gefunden und vernetzt. Das geht nicht mehr weg, weil auch das Thema nicht mehr weg geht. Lobau Bleibt sind wir alle, und wir sind überall. Stellt euch besser darauf ein.

Wie hast du’s mit der Solidarität?

In den letzten Wochen habe ich viel Zeit mit Aktivist*innen der Klimabewegung verbracht. Ich habe die besetzten Baustellen und das Basiscamp besucht, Material vorbei gebracht, mitgearbeitet und mit den Leuten geredet.

Anders als in den Medien oft dargestellt, ist die Bewegung sehr, sehr vielfältig und besteht keinesweg nur aus jungen Leuten. Natürlich, je jünger man ist, desto drastischere Auswirkungen der Erderhitzung muss man in seiner Lebenszeit erwarten. Aber es gibt auch viele, die über die eigene Lebenszeit hinaus denken, oder die in der Lage sind, sich eine andere, bessere Welt vorzustellen oder eine lebenswertere Stadt, die wir in wenigen Jahren schaffen könnten, wenn wir nur wollten.

Auf der anderen Seite der Auseinandersetzung steht, und das ist für eine progressive, solidarische Partei vielleicht überraschend, die SPÖ. Wie kommt es eigentlich dazu? Continue reading „Wie hast du’s mit der Solidarität?“

Rückzugsgefechte

Die Stadt Wien eskaliert ihren Kampf gegen die Klimabewegung – so muss man das mittlerweile nennen – und schickt irgendwelchen Aktivist*innen, darunter auch solchen, die verbürgt überhaupt noch nie auf einer der Baustellen waren, eine Klagsdrohung. Eine konkrete Höhe nennen sie nicht, es stehen Millionenbeträge im Raum. Wir kennen noch gar nicht den ganzen Adressat*innenkreis und auch die Anzahl können wir nur schätzen, weil einfach Krethi und Plethi eine Beteiligung unterstellt wird.

Souveräner Umgang mit engagierten jungen Leuten sieht anders aus. Statt mit ihnen zu reden, schickt der Bürgermeister Beamte ohne Entscheidungsmacht vor und jammert dann, dass diese Scheingespräche ebenso im Nirwana enden wie seine Autobahn ins Nichts. Und jetzt dieser, wie wir in der Branche sagen, absolute dick move. Michael Ludwig und seine Getreuen wissen natürlich, dass sie ein Rückzugsgefecht führen, dass die Stadt in wenigen Jahrzehnten ganz anders aussehen wird – aussehen muss! – als sie sich das wünschen. Continue reading „Rückzugsgefechte“

Die Klimabewegung und die Grünen

Lena Schilling vom Jugendrat, eines der Gesichter der Klimabewegung in Österreich, hat sich in diesem Video sehr kritisch über die Grünen geäußert.

Die Aussagen brauchen eine Einordnung. Ich teile die moralische Wertung nicht, aber die dahinter liegende Frage ist legitim: Welche Rolle spielt eine politische Partei im Rahmen der Klimabewegung, und können die Grünen diese Rolle spielen?

Zwischen der Parteispitze und der Basis, wer immer das ist, vermutet Schilling eine Diskrepanz. Ich nehme aus der Innensicht eine solche nicht wahr. Wenn ich mir nicht nur die Umfragen, sondern auch die letzten Wahlergebnisse anschaue, halte ich auch die Diskrepanz zwischen der Partei und ihrer Wähler_innenschaft für weitgehend konstruiert.

Was ich tatsächlich wahrnehme, ist vielmehr einerseits die Erkenntnis, dass wir uns in der Politik nicht im luftleeren Raum bewegen und ein Regierungsamt nicht automatisch bedeutet, dass der eigene Wille eins zu eins das ist, was umgesetzt wird, und andererseits ein stark vereinfachtes Politikverständnis, das diesem Umstand nicht wahrhaben möchte.

Baumpflanzung am 11. September im Camp Wüste am Hausfeld
Baumpflanzung am 11. September im Camp Wüste am Hausfeld

Damit beziehe ich mich erst einmal gar nicht so sehr auf die Tatsache, dass wir natürlich immer mit Partnerinnen regieren, deren politischer Wille dem unseren in dieser Frage diametral entgegen steht. Die Frage, ob hier mit der SPÖ oder der ÖVP mehr zu bewegen ist, wäre übrigens einen eigenen Beitrag wert.

Nein, es gibt vielmehr noch einen anderen, in diesem Zusammenhang ganz wesentlichen Unterschied: Den zwischen dem politischen Willen und dem rechtsstaatlichen Verfahren, das eine Behörde abwickelt.

Regierungspartei seit 2010

Ja, die Grünen waren zehn Jahre in der Stadtregierung, und alles, was wir in der Zeit erreicht haben, war, dass das Projekt verzögert wurden. Wie lang verzögert? 2009 ging die ASFINAG noch von einem Baustart 2011 aus. Ohne Grüne in der Stadtregierung wären heute schon Autos in der Lobau und der „Betonaustadt“ unterwegs. Das ist der politische Wille. Die SPÖ musste das zähneknirschend akzeptieren. So funktionieren Koalitionen. Oft auch in unserem Sinne. Es ist kein Zufall, dass der Bau wenige Monate nach dem Ende von Rotgrün in Wien begonnen wurde.

Politik und Recht

Was nicht geht: Dass ein Regierungsmitglied – Leonore Gewessler auf Bundesebene ebenso wenig wie Maria Vassilakou oder Birgit Hebein – einfach in ein laufendes Verfahren eingreift. Das Ressort agiert hier als Behörde. Ein solcher Eingriff wäre Amtsmissbrauch; eine entsprechende Weisung hätte keinen Bestand. Vorschläge können hier nur im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten kommen. Daran haben sich die Grünen Regierungsmitglieder selbstverständlich immer gehalten und werden es auch weiterhin tun.

Landstraßer Grüne im Protestcamp Anfanggasse
Landstraßer Grüne im Protestcamp Anfanggasse

Ein anderer Hebel wäre das Geld. Die Stadt hat hier tatsächlich mehr Einfluss als der Bund, weil sie das Projekt direkt finanziert, während für den Bund die ASFINAG im Spiel ist, die – wie der Name schon sagt – als Aktiengesellschaft organisiert ist. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist weisungsfrei und kann auch nicht so einfach abgelöst werden, zumal er sich im Rahmen der geltenden Gesetze, vor allem des Bundesstraßengesetzes, bewegt. In diesem Gesetz sind die hochrangigen Straßen der Republik einzeln angeführt, auch eine Straße vom Knoten Schwechat über den Knoten Raasdorf bis Süßenbrunn findet sich darin. Das heißt nicht automatisch, dass alle Straßen, die dort aufgeführt sind, gebaut werden. Das hängt von vielen Faktoren ab, dafür gibt es eben ein Verfahren. Wenn dieses einmal läuft, hat die Behörde es ordentlich zu führen, so lange das Gesetz nicht geändert wird.

Bewegung und Partei

Mit friedlichen Revolutionen ist das immer so eine Sache. Wir haben in der jüngeren europäischen Geschichte einige Regimewechsel erlebt, auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Ihnen allen war gemein, dass die Menschen in einer Diktatur gelebt haben, die sie unmittelbar fühlen konnten. Die Proteste waren immer von sehr großen Teilen der Bevölkerung getragen, der Wechsel zur Demokratie von einer überwältigenden Mehrheit unterstützt. Wir leben in keiner Diktatur, und ich sehe auch diese Unterstützung nicht, ganz im Gegenteil. Warum Schilling jetzt den Grünen den Umstand in die Schuhe schiebt, dass immer weniger Leute auf die Klimastreiks kommen, ist für mich gar nicht nachvollziehbar. Egal ob 5000, 10.000 oder 20.000 Leute in Österreich auf die Straße gehen, gemessen an der Größe des Problems ist das ein winziges Grüppchen. Warum arbeiten wir nicht gemeinsam an der Mobilisierung? Wir Grünen leisten hier unseren Teil, obwohl uns das gar nicht leicht gemacht wird. Wir sollen so unsichtbar wie möglich sein und müssen uns gleichzeitig fragen lassen, warum wir nicht präsenter sind. Wir unterstützen unter diesen Umständen, wo wir können, personell wie finanziell, wir mobilisieren und vor allem verhandeln wir im Parlament, in der Bundesregierung, in der EU und in den Ländern.

Das ist auch die Rolle einer politischen Partei im Rahmen dieser Bewegung. „Erstmals sitzt der Klimaschutz mit am Verhandlungstisch„, und dass dem so ist, hat eine große Bedeutung, insbesondere auf Europäischer Ebene. Sind wir damit politisch schon dort, wo wir hin müssen? Mitnichten, natürlich nicht. Dennoch: Was wir erreicht haben, ist eine echte Trendwende. Der Druck von der Straße ist hier sehr, sehr wichtig. Aber die Entscheidungen fallen nicht dort, und dort, wo sie fallen, müssen wir ebenfalls präsent sein und den Ball heim spielen. Wenn wir dabei erfolgreich sein wollen, müssen wir hier an einem Strang ziehen.

Landstraßer Grüne heute im Camp Wüste
Landstraßer Grüne heute im Camp Wüste
Und eine neue Partei?

Aber reicht das? Brauchen wir eine neue Partei, die das schafft, was die Grünen nicht leisten? Ich bin hier sehr skeptisch, dass uns das weiterbringt.

Nicht, dass es in der zweiten Republik keine Versuche gegeben hätte, neue Parteien zu etablieren. Einige davon haben es auch ins Parlament geschafft, manche sogar ein zweites Mal, aber dann war das Projekt auch wieder zu Ende. Stabile Strukturen konnten nur die Grünen und die NEOS (im zweiten Anlauf nach dem LiF in den 90ern) aufbauen.

Die 68er, die Generation meiner Eltern, mussten lernen, dass Politik ein Spiel ist, das Regeln folgt, formellen (Verfassung und Gesetze) und informellen; Strategie und Taktik, die Suche nach Verbündeten, Überzeugung und Durchsetzung. Gemeinsam mit der Friedensbewegung und der Umweltbewegung der 1970er und 1980er traten sie den „Marsch durch den Institutionen“ an, bemühten sich um Ämter, zogen in die Parlamente ein, wo sie eine beeindruckende disruptive Kraft entfalteten. Die Grünen sind das Ergebnis dieser jahrzehntelangen Entwicklung. Eine neue Partei müsste wieder denselben Weg gehen, das Spiel lernen, sich etablieren, nur um sich dann in genau der selben Situation zu finden. In Deutschland gibt es bereits eine Klimaliste, und bisher bewegt sie sich genau auf diesem Pfad. Können wir wirklich darauf warten? Was hätten wir dann erreicht? Viele verschwendete Jahre, die wir nicht haben. Warum also auf eine Partei hintreten, die mehr als gewillt ist, der politische Arm der Klimabewegung zu sein, den Klimaschutz an den Verhandlungstisch zu tragen, wie wir das ja selbstverständlich seit bald zwei Jahren tun?

 

Die Basis, das unbekannte Wesen

Immer, wenn bei den Grünen eine wichtige Entscheidung ansteht, wird sie beschworen: die berühmte „Basis“. Auch andere Parteien haben eine Basis, aber die Grünen haben sich „basisdemokratisch“ als einen ihrer Grundwerte auf die Fahnen geschrieben, insofern überrascht nicht, dass sie hier eine besondere Rolle zu spielen scheint. Am liebsten wird „die Basis“ in Verbindung mit Verben wie „brodeln“ oder „revoltieren“ in Verbindung gebracht, manchmal auch mit Adjektiven wie „folgsam“, „rebellisch“, je nach Stimmungslage.

Aber wer ist das eigentlich, „die Basis“? Wer trifft bei den Grünen die Entscheidungen?

Basis eine Säule
Basis einer Säule, Credits: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Ikiwaner
Der Parlamentsklub

Noch 2019 waren die Abgeordneten die absolute Spitze der Partei. Es gab keine höherrangigen Vertreter_innen, und auch diese waren erst ganz neu wieder in den Nationalrat eingezogen. Das ist jetzt anders. Der Vizekanzler ist ein Grüner, drei Ministerien werden von Grünen geleitet. Die Abgeordneten und auch die fünf Grünen Mitglieder des Bundesrates sind aber natürlich in alle Verhandlungen eingebunden. Ohne ihrer Unterstützung kann die Regierung nicht weiter bestehen. Schon sechs Grüne Stimmen könnten einen Misstrauensantrag der Opposition zum Erfolg führen, vorausgesetzt, die Opposition stimmt geschlossen ab. Der Parlamentsklub mag aktuell nur die zweite Reihe sein, die „Basis“ ist das aber sicher nicht.

Die Bundesländer

In allen neun Bundesländern gibt es Grüne Landesgruppen, die außer in Kärnten auch in allen Landtagen vertreten sind. Es gibt zahlreiche formelle und informelle Foren, in denen sich Vertreter_innen der Landesgruppen austauschen. Alle gemeinsam beschicken den erweiterten Bundesvorstand, es gibt Runden der Landesgeschäftsführer_innen, der Finanzreferent_innen und so weiter, wie in allen Parteien.

Natürlich haben die Landesparteien auch alle ihre eigenen Gremien. Die heißen ganz unterschiedlich und auch die Struktur und Beschickung ist nicht einheitlich. Manche bestehen aus Menschen, die Vollzeit in der Politik arbeiten, mache wenigstens teilweise aus Ehrenamtlichen. Da kommen wir der „Basis“ schon näher.

Ausnahmslos Berufspolitiker_innen sind die ca. 50 Landtagsabgeordneten und Mitglieder der Landesregierungen. Diese sind ein bisschen in einer Sandwichposition. Einerseits haben sie einen beträchtlichen Informationsvorsprung gegenüber den ehrenamtlich tätigen Aktivist_innen und auch direkten Zugang zu den diversen Spitzenfunktionär_innen, andererseits sind sie aber in den Bezirken und Gemeinden relativ fest verankert. Das versetzt sie natürlich in die Lage, Stimmungen aufzunehmen und weiter zu tragen, und auch ihre inhaltliche und strategische Einschätzung ist von besonderer Bedeutung.

Der Bundeskongress

Alle bisher Genannten sind Delegierte am Bundeskongress, dem höchsten beschlussfassenden Gremium der Bundespartei. Es handelt sich dabei um keine Mitgliederversammlung; vielmehr besteht der Buko etwa je zur Hälfte aus Amtsträger_innen und gewählten Delegierten der Landesparteien. Die Anzahl teilt sich nach einem Bevölkerungsschlüssel auf, kein Land hat weniger als neun Delegierte, Wien als größtes Bundesland 29. (Yours truly ist einer davon.)

Wenn wir etwas vom „Aufstand der Basis“ lesen, ist meistens der Bundeskongress gemeint. Im Vergleich zur Mitgliederzahl handelt es sich um relativ wenige Menschen, die meisten davon verdienen noch dazu Geld in der Politik (wenn auch sehr unterschiedlich viel). Dennoch: Nirgendwo sonst sind mehr Grüne aus dem ganzen Land versammelt, nirgendwo gibt es einen breiteren Austausch. Nirgendwo ist die Spitze der Partei für einen größeren Kreis direkt zugänglich.

Im Zuge einer Regierungsbildung hat der Bundeskongress eine Reihe von wichtigen Kompetenzen. Regierungsmitglieder müssen bestätigt, das Regierungsprogramm beschlossen werden. Verweigert der Buko seine Zustimmung, können die Grünen nicht in eine Regierung eintreten.

Beendet wird die Koalition aber anders. Es gibt 100 Wege, die zum Ende einer Regierung fallen. Der Bundespräsident kann sie entlassen. Der Nationalrat kann ihr das Vertrauen versagen. In der Abstimmung sind die Abgeordneten völlig frei in ihrem Mandant und an keine Beschlüsse der Partei gebunden.

Die Mitarbeiter_innen

Eine Sonderstellung nehmen die Mitarbeiter_innen in der Bundes- und Landesparteien, in den Kabinetten und auch den im Parlament und den Landtagen ein. Bei weitem nicht alle von ihnen sind Parteimitglieder. Manche haben Mandate in Gemeinderäten oder Bezirksvertretungen, aber die Mehrheit ist das meiner Einschätzung nach nicht. Sie stellen ihre Expertise zu einem Fachbereich den Abgeordneten oder Regierenden zur Verfügung. Manche von ihnen arbeiten schon seit vielen Jahren in ihrer Rolle, vor allem Jüngere wechseln nach einigen Jahren die Seite und bewerben sich um ein Mandat. Das ist keine Besonderheit der Grünen. Klub- und Kabinettsmitarbeiter_innen sind in allen Parteien die wichtigste Personalreserve.

Grüne in Ländern, Städten und Gemeinden

In Wien sind wir als Grüne in einer sehr bequemen Position: In allen 23 Bezirken gibt es Bezirksgruppen, die auch alle Mandate in ihrer jeweiligen Bezirksvertretungen haben. Drei Bezirke, der Neubau, die Josefstadt und Währing, werden überhaupt Grün regiert.

In den anderen Bundesländern sieht es längst nicht so rosig aus. Erst seit 2018 stellt die Partei überhaupt erstmals einen Bürgermeister (Georg Willi in Innsbruck). Die Zahl der Gemeindegruppen wächst tendenziell, von einer flächendeckenden Vertretung kann aber noch lange nicht die Rede sein.

Wo es sie gibt, sind die kommunalen Gruppen für Neueinsteigende natürlich die leichteste Möglichkeit anzudocken. Das hat Vor- und Nachteile. Man trifft sich oft, hat oft gemeinsame, ganz konkrete Anliegen – das eine unmöglich Bauprojekt, die Straße, die Schule – und einen ähnlichen Informationsstand. Andererseits ist die Kommunalpolitik auch ein ganz besonderes Milieu. Die großen Dinge, die überall in Österreich diskutiert werden, stehen dort nicht zur Debatte. Nicht jede_r interessiert sich für den langwierigen Kampf um jede einzelne Parkbank, während man gleichzeitig von Informationen und Entscheidungen oft ausgeschlossen ist.

Hier ist sie also, die „Basis“. Bleibt die Frage, wie kann sie Druck machen? Ein Vorteil, den eine kleine Partei für Politikinteressierte hat, ist der Umstand, dass die Strukturen sehr schlank und die Hierarchien daher sehr flach sind. Es ist leicht, Kontakt zumindest auf die Landesebene zu bekommen. Niemand muss sich über Jahre, Jahrzehnte hochdienen, um gehört zu werden. Alle Listen werden auf Mitgliederversammlungen gewählt, niemals von irgendwelchen Führungsfiguren bestimmt, daher haben alle Mandatar_innen ein Interesse daran, die Leute zu kennen und nicht nur aus den Medien bekannt zu sein. Natürlich gibt es dazwischen Aggregatoren, aber relativ wenige, und jedenfalls nicht viele isolierte Schichten. Entscheidungen fallen selten im sprichwörtlichen Hinterzimmer und müssen immer gerechtfertigt werden. Anders als bei anderen Parteien gibt es bei den Grünen wenige Wahlkreismandate und keine Bezirkskaiser. Stattdessen sind alle überall unterwegs und relativ leicht greifbar. Das ist letztlich, was „der Basis“ ihren Einfluss verschafft.

Raus aus dem Asphalt!

Heute tagt in Wien Landstraße die Bezirksvertretung. Ich bringe einen sehr grundsätzlichen Antrag ein:
Es geht um nichts weniger als eine Weichenstellung weg vom Asphalt hin zu einer klimafitten Stadt mit Platz für alle!

"Wohnstraße" Maiselgasse
So sieht im Bezirk eine Wohnstraße (Maiselgasse) aus.

In der Vorbereitung auf die Sitzung habe ich mir angesehen, wie es mit dem Bewusstsein für die dringend nötige Veränderung in Wien aussieht. In den letzten Jahren sah es ja so aus, als wären wir in puncto Lebensqualität ausgezeichnet unterwegs. Viele Rankings führte Wien überhaupt an, selten waren wir nicht in den Top 10. Diese Zeiten sind bis auf weiteres vorbei. In einer kürzlich erschienenen Liste der 37 besten Städte der Welt kommt Wien gleich gar nicht vor. Höchste Zeit, das Ruder herum zu reißen!

Wie das geht, wissen wir, und damit meine ich nicht nur uns Grüne, obwohl auch wir natürlich schon sehr, sehr viele Vorschläge gemacht haben. Ich habe in die Begründung meines Antrages ca. 30 Zitate eingebaut, die meisten aus dem Wahlprogramm der SPÖ und aus dem Koalitionsabkommen der aktuellen Stadtregierung, wo es ein ganzes Kapitel zum Klimaschutz und zur notwendigen Anpassung an die Erderhitzung, von der Wien ja besonders stark betroffen ist, zu finden ist. Das Bewusstsein ist also da, nicht nur bei Ökofreaks und 12, 13jährigen Kindern, sondern auch an höchster Stelle.

Den Worten Taten folgen lassen

Es fehlt also nur mehr, die guten Absichten auch Realität werden zu lassen. Die Wienwahl ist jetzt bald ein Jahr her, und was wir seither an Veränderung in der Stadt gesehen haben, geht ganz in die falsche Richtung. Für den Bezirk gilt das weniger, hier meiden wir ja jede Veränderung wie der Teufel das Weihwasser. Es fühlt sich manchmal an, als hätte man die Landstraße in den 1980ern unter eine Glaskuppel gestellt oder in eine Zeitkapsel gepackt. Der Motorisierungsgrad stagniert seit Jahren, während er in anderen Bezirken teils deutlich sinkt. Die Verkrustung aufzubrechen ist natürlich Knochenarbeit, aber es lohnt sich. Die Landstraßer Grünen haben 2020 eine umfangreiche Studie zur Verkehrswende im Bezirk vorgelegt. Das ist natürlich nicht alles. Auch an Wasserentnahmestellen, attraktiven Grünflächen im Straßenraum und Bäumen mangelt es, eigentlich generell an Platz für die Menschen. Am Höhepunkt der Pandemie 2020 gab es, anders als in anderen Bezirken, auch keine Initiative, Lokalen größere Schanigärten mit mehr Abstand zu günstigen Konditionen zu ermöglichen.

Das sind alles keine Neuigkeiten. Es ist klar, was es braucht, und es ist auch klar, dass das nur geht, wenn wir die Verteilung des Platzes im öffentlichen Raum neu denken. Dazu fordert mein Antrag auf.

Dass das möglich ist, und dass Städte, die ihren Platz anders verteilen, wirklich lebenswerter sind, sehen wir an internationalen Vorbildern. New York hat eine seiner schlimmsten Verkehrshöllen, den Times Square, bereits 2009 gänzlich autofrei gemacht. Kopenhagen hat über viele Jahre die Zahl der Autostellplätze um 2-3% pro Jahr reduziert – und nennt das eine sanfte Reduktion. Damit wird niemand überfallen, aber umgelegt auf unseren Bezirk bedeutet das eine Reduktion um etwa 1000 Stellplätze pro Jahr, eine Fläche doppelt so groß wie der Rochusmarkt mit seinen angrenzenden Straßen, ein Viertel in zehn Jahren. Anne Hidalgo, die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Paris, will überhaupt von den 140.000 Stellplätzen im Stadtzentrum – die Fläche entspricht in etwa den Wiener Bezirken 1-9 – ganze 60.000 ersatzlos auflassen.

Was man mit dem freiwerdenden Platz alles machen könnte!

Die Möglichkeiten sind schier endlos. Einige habe ich im Antrag aufgezählt, auch mit einer gewissen Rangreihung. Am wichtigsten ist, dass wir so viel Fläche wie möglich entsiegeln und begrünen. Unter den Anpassungsmaßnahmen an die Hitze ist das die wichtigste. Schwarzer Asphalt ist so ziemlich die schlechteste Oberfläche, die der Boden in der Stadt haben kann. Er lässt kein Wasser durch, und in der Sonne heizt er sich besonders stark auf.

Natürlich braucht es auch in Zukunft Verkehrsflächen. Auch hier geht es um eine Umverteilung: Weniger als ein Drittel der Fahrten wird in der Stadt mit dem Auto zurückgelegt – und davon wären etwa 90% eigentlich vermeidbar –, dennoch beanspruchen sie im typischen Wiener Straßenquerschnitt zwei Drittel bis drei Viertel der Fläche. Stattdessen müssen wir auf mehr Platz für aktive Mobilität setzen – zu Fuß Gehen und Radfahren sind gerade innerstädtisch die idealen Fortbewegungsarten, sie sind gesund und bringen Leben auf die Straße. Auch hier sehen wir am Beispiel von Paris, wie atemberaubend schnell sich die Leute anpassen, wenn man ein gutes Angebot schafft.

Die Landstraßer Hauptstraße war vor zehn Jahren noch so etwas wie die kleinere, charmantere Schwester der Mariahilfer Straße. Anders als dort wurden in der Landstraße die kleinen Biedermeierhäuser nicht, oder wenigstens nicht alle, durch die größeren, imposanteren Gründerzeithäuser ersetzt. Seit damals wurde die Mariahilfer Straße stark entwickelt, während man der Landstraßer Hauptstraße deutlich ansieht, dass ihre letzte wesentliche Umgestaltung bereits Jahrzehnte zurück liegt. Zu schmale Gehsteige sind hier nur die Spitze des Eisberges. Das größte Problem sind die Mehrzweckstreifen, die die Sicherheit für Radfahrende nicht erhöhen, sondern sogar senken, weil sie den Verkehr genau in die besonders gefährliche Türzone der danebenliegenden Parkstreifen zwängen. Im Wahlkampf hat der Bezirksvorsteher einem baulich getrennten Radweg zugestimmt, diese Zustimmung dann aber gleich wieder zurückgenommen.

Und dann gibt es natürlich noch andere Verwendungen, für die der Platz, den derzeit Autos exklusiv beanspruchen, dringend gebraucht würde. Am besten ist es, die Verwendung für ein bestimmtes Stück Fläche nicht auf eine einzige Art einzuschränken, wie es derzeit der Fall ist, sondern die Menschen selbst entscheiden zu lassen, wie sie den Platz nutzen. Warum nicht einmal einen Campingtisch vor die Tür stellen und auf der Straße frühstücken? Derzeit ist das nicht nur unattraktiv – wer sitzt schon gern im Lärm und den Abgasen? – sondern auch gar nicht erlaubt. Spielende Kinder auf der Straße? Viel zu gefährlich. Kleine Veranstaltungen, einen Infotisch? Aber bitte nur am Gehsteig. Für all das und noch viel mehr können wir Platz schaffen. Mein Antrag ist dazu die erste Weichenstellung.